EU-Kommission genehmigt Fusion Alstom-Bombardier

Alstom Bombardier

Freitag morgens war die deutsche Pressestelle vom Bombardier Transportation noch ohne Post aus Brüssel, doch später am 31.7.2020 verkündete die Europäische Kommission formell ihre Zustimmung zur angestrebten Fusion mit dem Bahnkonzern Alstom.

In einer Pressemitteilung erklärte dazu die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager: „Alstom und Bombardier sind führende Anbieter hochmoderner Züge, die täglich von Millionen von Fahrgästen in der Europäischen Union genutzt werden. Dank der Vorlage umfassender Abhilfemaßnahmen, um die Wettbewerbsbedenken der Kommission in Bezug auf Höchstgeschwindigkeits- und Fernzüge sowie Signaltechnik für Fernverkehrsstrecken auszuräumen, konnte die Kommission das Vorhaben rasch prüfen und genehmigen. Das aus dem Zusammenschluss hervorgehende Unternehmen wird künftig eine stärkere Marktstellung haben. Gleichzeitig wird es dank dieser Abhilfemaßnahmen auf seinen Kernmärkten auch weiterhin Wettbewerb ausgesetzt sein, was den europäischen Kunden und Verbrauchern zugutekommt.“

Somit wurde der Antrag von Alstom durch die EU-Kommission bereits im Vorprüfverfahren (Phase I) akzeptiert, eine vertiefte Prüfung war nicht nötig. Wie nicht anders zu erwarten, begrüßten Alstom und Bombardier Vestagers Entscheidung. Jetzt sind noch Genehmigungen anderer Wettbewerbsbehörden einzuholen, doch das dürfte kein Problem mehr sein. Die Fusionäre wollen den Zusammenschluss bis Ende Juni 2021 abschließen.

Bei der Signaltechnik stimmte die EU-Wettbewerbskommissarin der vor allem von Siemens vorgetragenen Befürchtung zu, der neue Konzern könnte konkurrierenden Herstellern von Fahrzeugkontrollgeräten mit ETCS-Standard, so genannten On Board Units (OBU), den Zugang zu seiner eigenen Zugflotte erschweren. In den Niederlanden hätte das neue Unternehmen zudem zum Monopolisten für herkömmliche OBU aufsteigen können. Deshalb sicherte im Vorfeld Bombardier zu, die Technologie der eigenen OBU-Anlagen frei zugänglich zu machen. Wettbewerber im Markt für herkömmliche OBU sollen Schnittstelleninformationen und Support-Leistungen erhalten. Auch erhält der niederländische Infrastrukturbetreiber ProRail herkömmliche OBU für alle interessierten Betreiber.

ALSTOM-CHEF: WIR BRAUCHEN JEDEN

Bleiben die Arbeitsplätze beider Unternehmen nach der Fusion erhalten? In einer Live-Sendung für den Radiosender France Inter hatte Alstom-Präsident Henri Poupart-Lafarge am 31.7. erklärt, die Post-Covid-Verwerfungen seien ein "ziemlich kritischer Moment, aber die Klimakrise wird viel länger dauern, und die Chance, die sich daraus für uns ergibt, die Notwendigkeit eines Übergangs in der Mobilität, wird sich über die Jahre erstrecken, viele Jahre." Daher sei die Fusion mit Bombardier im Vergleich zu den anderen großen Herausforderungen nur eine "kurzfristige" Aufgabe. Wird es nicht "einen Bruch" geben? fragte die Moderatorin der Sendung den Alstom-Chef. Poupart-Lafarge beruhigte: "Wir haben beide viele Aufträge zu erfüllen, und wir werden jeden brauchen.“

Also kein Personalabbau? Abhängig dürfte das auch davon sein, in welcher Weise die Fusionäre die weitere Bedingung erfüllen, die sie gegenüber der EU-Kommission eingingen. Bislang haben im Segment der Regionaltriebzüge Alstom und Bombardier in Frankreich 100 Prozent Marktanteil, kein anderes Unternehmen baut dort Regionaltriebwagen. In Deutschland kommen beide Konzerne zusammen auf 70 Prozent Marktanteil. Daher müssen sie, so die Selbstverpflichtung, die Produktplattformen und Produktionsanlagen für die in Europa populären Elektrotriebzüge Coradia Polyvalent und Talent 3 verkaufen. Dieser Wortwahl nach wäre sowohl denkbar, dass die Käufer dieser Technologien auch an den jetzigen Produktionsstandorten im französischen Reichshoffen und im deutschen Hennigsdorf bei Berlin Hallen kaufen und somit ortsnah weiterhin das geschulte Personal von den bisherigen Arbeitgebern übernehmen könnten. Verlassen jedoch die Maschinen ihren bisherigen Standort, fehlte für mehrere hundert heute Beschäftigte wohl Arbeit.

Weitere Bedingung der Kommission für die Zustimmung zur Fusion ist die Veräußerung der von Bombardier in die gemeinsam mit Hitachi entwickelte Höchstgeschwindigkeitszug-Plattform „Zefiro“ eingebrachten Vermögenswerte. Gleichzeitig verpflichtete sich Alstom zu verschiedenen Maßnahmen, um das von Bombardier und Hitachi als Konsortium unterbreitete Angebot für das britische Highspeed 2-Projekt (HS2) - die derzeit größte Absatzmöglichkeit für Hersteller von Höchstgeschwindigkeitszügen in Europa - aufrechtzuerhalten.

BEFÜRCHTUNGEN WEGEN CRRC

IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner ist bei seiner Gewerkschaft für Bahnfragen zuständig. Kerner lief sich schon mal warm: „Die Beschäftigten verdienen Sicherheit und Klarheit. Arbeitsplätze und Standorte müssen gesichert, Mitbestimmung und Tarifstandards gewahrt bleiben." Gefordert seien ein Zukunftskonzept und Zusagen möglicher Käufer von Anlagen in Hennigsdorf. Für den Coradia führe er, so jüngst Alstom-Chef Poupart-Lafarge, bereits Gespräche mit „mehreren“ ernsthaften Interessenten. Doch in wessen Hände wird der Talent 3 fallen? In der Zeitschrift Wirtschaftswoche befürchtete Kerner das Schlimmste:

"Sollte CRRC Zugriff auf deutsche Werke erhalten, holen wir die roten Fahnen raus! Wir werden das nicht akzeptieren.“

Die Angst vor dem Bahnhersteller Nr. 1 im Welt-Ranking, dem chinesischen Konzern CRRC, war es gewesen, die Alstom vor zwei Jahren auf Siemens zugehen ließ und jetzt den Fusionsbeschluss mit Bombardier herbeiführte. Damals lehnten die EU-Wettbewerbshüter die Fusion ab, weil Siemens und Alstom in Europa – und nur das ist für die EU-Kommission entscheidend – eine zu große Monopolstellung entwickelt hätten. Frankreichs Regierung hatte seinerzeit ihren Unmut über die Fusionsablehnung offen zur Schau getragen.

Regelrecht explodiert war jedoch Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, als er von der Übernahme der Vossloh-Lokomotivfabrik in Kiel durch CRRC erfuhr und keinen entschlossenen Widerstand der deutschen Bundesregierung erkannte. "Ich bin außer mir", polterte damals Le Maire gegenüber französischen Medien. "Was passiert? CRRC kommt nach Europa, will Unternehmen kaufen und fängt an, Eisenbahnlinien zu bauen. Ich dagegen kämpfe für ein Europa, das schützt und nicht seine Märkte riesengroß öffnet." Das deutsche Bundeskartellamt genehmigte Ende April 2020 den Kauf der Kieler Fabrik durch CRRC.

Dieses Mal war Bruno Le Maire mit der Entscheidung der EU-Kommission natürlich zufrieden. Das sei eine „gute Nachricht“ für die europäische Bahntechnikbranche. „Diese Entscheidung erlaubt eine Stärkung von Alstom und Bombardier, indem ein maßgebliches, weltweit führendes Unternehmen geschaffen wird.“ Die Berliner Reaktion fiel emotionsloser aus: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie nimmt die heutige Entscheidung der Europäischen Kommission zur Kenntnis. Die Zuständigkeit für die wettbewerbsrechtliche Prüfung des Zusammenschlusses lag allein bei der Europäischen Kommission.“

Vossloh hin, Alstom her, fast hätte der chinesische Konzern bereits 2019 in der EU einen Großauftrag ergattert – und das ausgerechnet unter Beteiligung der französischen Staatsbahn SNCF. Die österreichische private Westbahn schrieb die Bestellung von 15 neuen Zügen aus und war in den Verhandlungen mit CRRC bereits weit vorangekommen.  Pikant: Die SNCF hält an der Westbahn-Muttergesellschaft Rail Holding 17,4 Prozent. Die anderen Anteile halten die Haselsteiner Familienprivatstiftung des Industriellen Hans Peter Haselsteiner (49,9 Prozent) sowie die Schweizer Augusta Holding des Unternehmers Erhard Grossnigg (32,7 Prozent).

Am Ende wurden dann doch für knapp 300 Millionen Euro 15 Doppelstockzüge des Typs KISS des Schweizer Bahnherstellers Stadler geordert – aber wohl nicht zuletzt, weil Stadler es dem Angebot der Chinesen gleichtat und zusammen mit den Zügen auch eine attraktive Finanzierung anbot. So wurde dann auch der Auftrag über die KISS-Züge mit der Austrian Train Finance abgeschlossen, einer hundertprozentigen Tochter der PCM-Holding von Stadler-Verwaltungsratspräsident und Ankeraktionär Peter Spuhler. Eine maßgeschneiderte Finanzierung mit den Fahrzeugen und Anlagen anzubieten, scheint für europäische Bahnhersteller zukünftig immer wichtiger zu werden.

Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager

Artikel Redaktion Eurailpress
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