Johannes Kill: „Abstimmungsbedarf, was sicherheitskritisch ist“
Bei Güterwagen gilt die ECM-Verordnung schon, für alle anderen Fahrzeuge, auch Lokomotiven, tritt sie am 16.06.2022 in Kraft. Johannes Kill, Leiter Fahrzeugprojekte bei Railpool, beschreibt Reibungspunkte.
Beim Siegburger Erfahrungsaustausch zur ECM Verordnung für Lokomotiven wurde klar, dass die Festlegung, was sicherheitskritische Komponenten sind, noch im Werden ist. Wo liegen die Probleme?
Die Hersteller haben schon immer ihr Hersteller-Instandhaltungsprogramm entwickelt und an die Betreiber und Instandhalter übergeben. Hier tauchte schon der Begriff der sicherheitsrelevanten Bauteile auf, allerdings sehr flächendeckend. Die ECM-Verordnung kennt aber auch sicherheitskritische Bauteile. Mein Eindruck ist, dass es hier den Herstellern schwerfällt, die notwendige Unterscheidung zu treffen. Es besteht noch Abstimmungsbedarf, was sicherheitskritisch ist.
Warum ist die Unterscheidung relevant?
Auf der Liste der Hersteller über die sicherheitskritischen Komponenten müssen die ECM-Verantwortlichen ihre Instandhaltungs-Dokumentation berücksichtigen. Je umfangreicher die Liste, desto umfangreicher die Pflichten für die ECM. Natürlich müssen eindeutig sicherheitskritische Komponenten benannt werden – problematisch wird es aus unserer Sicht, wenn Komponenten gelistet werden, die nicht das Sicherheitsniveau erhöhen. Probleme ergeben sich auch, wenn Komponenten als sicherheitskritisch angegeben werden, diese Komponenten aber gar nicht eindeutig über eine Serial- oder Identnummer identifizierbar und somit nicht nachverfolgbar und nicht dokumentierbar sind. Auch sind die Listen der einzelnen Hersteller für ihre Lokomotiven unterschiedlich umfassend. Die Halter und Betreiber haben sich ihre Instandhaltungsprogramme und Objektstrukturen aufgebaut, die digitalen Zwillinge ihrer Lokomotiven, in denen die Komponenten in Bezug auf die Instandhaltung gruppiert werden. Wenn jetzt Hersteller A sagt, dass Drehdämpfer plötzlich sicherheitskritisch sein sollen, während Hersteller B das nicht so sieht, bekommen wir auch hier Probleme.
Gibt es einen Abstimmungsprozess?
Die ECM-Verordnung sieht kein Feedback der Halter und Betreiber an die Hersteller vor, um gemeinsam die Listen zu erarbeiten. Wo es Rückmeldung gibt, fällt diese nach Aussage der Hersteller je nach Instandhaltungsphilosophie der einzelnen Halter und Betreiber durchaus unterschiedlich aus. Während wir beispielsweise sagen: „Haltet die Liste so kurz wir möglich“, gibt es andere, die eine umfangreichere Liste wünschen, um „auf der sicheren Seite“ zu sein.
Könnte man nicht Branchen-Arbeitsgruppen zu jedem Lokomotivtyp für die Erarbeitung der Listen einsetzen?
Entsprechende Initiativen sind gerade im Entstehen. Die Lokomotiv-Instandhalter sind untereinander jedoch noch nicht so gut abgestimmt wie beispielsweise die Waggon-Instandhalter, für die die ECM-Verordnung ja schon seit 2016 gilt. Gut wäre es, wenn sich die großen Lokomotiv-Halter nach dem Vorbild des VPI zusammentun würden und ihrerseits gemeinsam definieren, was sie als sicherheitskritische Komponenten definieren. Nicht zuletzt deshalb wurde im Mai 2021 der Verband der Leasingunternehmen (AERRL) gegründet.
Bis zum Inkraftreten der ECM-Verordnung für Lokomotiven ist nicht mehr viel Zeit – was ist zu tun?
Zwei große Lokomotivhersteller haben schon Listen erarbeitet und vorgelegt. Als ECM kann man sich immer auf diese Listen berufen und ist damit Audit-fest. Allerdings muss dann jede Abweichung von den Listen individuell begründet werden – das ist aufwändig und letztendlich ineffektiv.
Das Interview mit Johannes Kill aus Rail Business 49/21 führte Dagmar Rees.