Wolfgang Feldwisch

"Großprojekte zwischen Protest und Akzeptanz"


Ingenieure können aus "Wutbürgern" durch respektvolle, bürgernahe und frühzeitige Informationen "Mutbürger" machen. So das Credo von Wolfgang Feldwisch im Leitartikel "Großprojekte zwischen Protest und Akzeptanz" zum ETR-Thema Konstruktiver Ingenieurbau im Dezember 2011. 

 

Gut ausgebaute und vernetzte Verkehrswege dienen den Menschen, sind ein entscheidender Standortfaktor im globalen Wettbewerb und bilden das Rückgrat der Exportnation Deutschland. Zugleich sehen sich die Großprojekte der Deutschen Bahn mit dem Ausund Neubau des Streckennetzes und wettbewerbsfähiger Hochleistungs- und Hochgeschwindigkeitsstrecken einem enorm gestiegenen Legitimationsdruck ausgesetzt, nachdem im letzten Jahr auf zum Teil spektakuläre Art und Weise das Großprojekt Stuttgart 21 mit seinem neuen unterirdischen Durchgangsbahnhof in das Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten ist.

Stuttgart 21 ist mit dem Begriff des „Wutbürgers“ zum Synonym geworden für eine weit verbreitete Protesthaltung der Bevölkerung gegen große Investitionsvorhaben – mit ihren technischen Risiken, eingesetzten Finanzmitteln, zugrundeliegenden formellen Verfahren und Entscheidungsprozessen und dahinterstehenden gesellschaftlichen Zielen.

Die Deutsche Bahn konnte die öffentliche Zustimmung zum Großprojekt Stuttgart 21 über eine „Fachschlichtung“ auf freiwilliger Basis mit „Faktenchecks“ vor einem breiten Publikum weitgehend zurück gewinnen. Die Auflagen im Schlichterspruch mit dem „Stresstest“ wurden vollständig erfüllt. In der ersten Volksabstimmung über ein Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde Stuttgart 21 am 27.11.2011 von den Wahlbürgern in Baden-Württemberg bei hoher Wahlbeteiligung mit einer deutlichen Mehrheit bestätigt.

Gleichwohl gibt die gesellschaftliche Grundstimmung – vom „Spiegel“ mit der Titelseite „Die Dagegen-Republik“ zum Ausdruck gebracht – weiterhin Anlass zur vertieften Analyse. Nach den Befragungsergebnissen des Instituts für Demoskopie Allensbach vom 03.09.2011

  • haben 71 % den Eindruck, dass Bürger bei den meisten Bauprojekten nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, 
  • reagiert schon auf den bloßen Begriff „große Bauprojekte“ die Mehrheit spontan negativ trotz der Assoziation mit Arbeitsplätzen, Fortschritt und Wachstum, und
  • haben 76 % generell Verständnis, wenn Bürger gegen große Bauprojekte protestieren – 68 % auch nach einem ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahren.

 

Offenbar reichen die herkömmlichen Methoden der Planung, Genehmigung und Kommunikation in vielen Fällen nicht mehr aus, Großprojekte im Konsens mit den Bürgern und der Gesellschaft zu entwickeln und zu realisieren.

 

Was kann getan werden?

Erste Lösungsansätze lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Eigentümer – seinem Eigentum verpflichtet – muss die Finanzierung seiner Großprojekte rechtzeitig und abschließend sichern. Der Blick auf die Finanzierungslösungen in der Schweiz kann hilfreich sein.

Der Vorhabenträger kann die Akzeptanz von Großprojekten durch frühzeitige und konsequente Beteiligung der Bürger über parteipolitisch nicht vereinnahmte Dialogforen und Mediationsverfahren mit qualifizierter Darstellung von Zielen und Nutzen erhöhen. Den gestiegenen Anforderungen müssen die entsprechende Professionalisierung des Projektmanagements, ausreichende Ressourcen auch für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sowie die professionelle Nutzung der neuen Medien und Internetplattformen folgen.

Die Politik muss im Rahmen der Gesetzgebung die Planrechtfertigung und Legitimation von Großprojekten neben der Planfeststellung auch über eine frühzeitige und angemessene Bürgerbeteiligung im Vorfeld (u. a. bei der Raumordnung) ermöglichen. Dazu gehören kürzere Planungs- und Genehmigungszeiten – wobei die Genehmigungsverfahren Gesetzesvollzug bleiben müssen.

Die Ingenieure in der Wertschöpfungskette des Planens und Bauens können aus den oftmals von Umfang und Komplexität der Planungen überforderten „Wutbürgern“ durch respektvolle und bürgernahe Information „Mutbürger“ machen. Die Glaubwürdigkeit und Integrität der Ingenieurarbeit kann durch offene und ehrliche Diskussionen über belegbare Fakten von Kosten und Nutzen sowie Risiken und Sicherheit weiterentwickelt werden.

Diese Lösungsansätze werden von den deutschen Ingenieurverbänden gestützt. Das Ergebnis der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 kann sie weiter fördern. Verbunden mit Qualitätsarbeit und persönlicher Integrität der Beteiligten kann so das Vertrauen der Gesellschaft in Technik und Wissenschaft weiter entwickelt, die Akzeptanz von Großprojekten erhöht und damit Ingenieurarbeit wieder im Konsens mit den Bürgern und der Gesellschaft geleistet werden – als Beitrag für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

 

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Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 12/2011
Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 12/2011