Timon Heinrici

"Psychologischer Durchbruch"

Wenn du es nicht gut machen kannst, mach es wenigstens groß! Diese Einstellung wird den Amerikanern nachgesagt. Nicht immer zu recht. Für die Straßenkreuzer der 60er Jahre mag die Polemik zutreffend gewesen sein – groß waren sie schon, aber mit blattgefederter Hinterachse alles andere als – sagen wir – technisch fortschrittlich, sicher, umweltfreundlich. Anders die langen Güterzüge. Auf die schauen europäische Bahnen voll Bewunderung, weil sie gewinnbringend sind. Eine Eigenschaft, die den Zügen europäischer Bahnen in der Mehrzahl abgeht.

Mit vielen Jahrzehnten Verspätung versucht sich Europa an vorsichtigen Kopierversuchen des amerikanischen Erfolgsmodells im Schienengüterverkehr. In Frankreich machen 1500-m-Züge von sich reden, die allerdings noch Exoten im Eisenbahnbetrieb sind. „Schon“ seit einem Jahr im Regelbetrieb befindet sich ein Zug, der zwischen Deutschland und Dänemark verkehrt, wenn er auch – gemessen am amerikanischen Vorbild und dem französischen Versuchsträger – mit möglichen 835 m eher noch minder spektakulär ist. Wenn es um Innovationen im Eisenbahnverkehr geht, hat Europa gelernt, sich in Bescheidenheit zu üben und auch kleinste Fortschritte überschwänglich zu feiern. Denn 835 m bleiben weit hinter dem verkehrspolitischen Ziel aus dem Masterplan Güterverkehr und Logistik (später Aktionsplan Güterverkehr und Logistik) zurück, in der ersten Stufe 1000 m und in der zweiten 1500 m lang sein. Allerdings nicht erst 2013, sondern schon viel früher. Das Projekt hat jahrelange Vorarbeit in Anspruch genommen, und über die Kosten schweigt des Sängers Höflichkeit. Die größere Länge wird nur von der Hälfte der Züge genutzt; im Durchschnitt waren die Züge mit 722 m nicht länger als Züge in Westdeutschland ohnehin sein dürfen.

Dennoch sind die 835 m ein Durchbruch – vor allem ein psychologischer. Der Erfolg macht Lust auf mehr. Die Überwindung der 750 m-Grenze wird dazu führen, dass weitere Strecken auf die Eignung für längere Züge untersucht werden. Der Aufwand für die Entwicklung ist nicht mehr so hoch wie für die Pilotrelation, denn die Parameter für das Rollmaterial stehen inzwischen fest. Damit gelingt der Schiene der lang erwartete sichtbare Schritt zu höherer Produktivität. Sie tragen nicht nur zur dringend erforderlichen Kapazitätssteigerung der Infrastruktur bei. Längere Züge können vor allem einen Beitrag zur Erholung der Margen leisten. Und laut Marktuntersuchung 2013 der Bundesnetzagentur sind die Margen dringend erholungsbedürftig – zumindest im Güterverkehr.

 

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Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 6/2014
Artikel von Statement aus der ETR, Ausgabe 6/2014