Matthias Grabe
Wer bitte ist denn nun systemrelevant?
Zwei Dinge gehen mir seit geraumer Zeit nicht aus dem Kopf. Zum einen die Bemerkung des Finanzchefs eines großen Elektrounternehmens bei der Einweihung eines langen Eisenbahntunnels. Er bedankte sich bei den Tunnelbauern dafür, dass man ihm den Wetterschutz für seinen Fahrdraht termingerecht fertiggestellt habe. Zum zweiten der Vortrag eines jungen, dynamischen Baujuristen auf einer Tunnelbau-Fachtagung. Der junge Anwalt erläuterte die
heutige Rechtsauffassung, dass ein unvollständiges Baugrundgutachten keine Planungsschwäche sei. Vielmehr sei dies ganz bewusst die Bekundung des Bauherrn, wie er sich die Verteilung der Projektrisiken vorstelle – und die Baufirmen hätten dies entsprechend im Angebot zu berücksichtigen.
Jeder Investmentbanker hätte Unternehmen, die im langjährigen Mittel derart geringe Umsatzrenditen wie Bau- und Planungsunternehmen ausweisen, längst aus seinem Anlageportfolio gestrichen. Warum existiert dann die Bau- und Planungsbranche in Deutschland und Europa überhaupt noch? Ganz einfach – und das sage ich aus vollster Überzeugung, obwohl eigentlich ganz andere Branchen diesen Begriff für sich beanspruchen: Wir sind „systemrelevant“! Warum können die Ingenieure das von sich behaupten? Nun, dafür gibt es zahlreiche Gründe.
Erstens hat bisher kein Jurist, Betriebswirt oder Informatiker überzeugend nachweisen können, dass er es beherrscht, die Schwerkraft zu überwinden – Techniker und Ingenieure machen das tagtäglich.
Zweitens brauchen alle Branchen, ob Produzenten oder Dienstleister, einen trockenen und wohltemperierten Raum um sich herum, um in unserem humiden Klima Wertschöpfung zu betreiben. Ob im Büro, in der Fabrikhalle oder im Homeoffice – ohne technisch hochwertige Gebäude, nennen wir es „Wetterschutz“, geht nichts. Techniker und Ingenieure besitzen die dafür notwendige Expertise.
Und drittens: So lange wir Materie nicht digital zerteilen, transportieren und am Bestimmungsort wieder geordnet zusammensetzen können – ebenso, wie es Scotty vom Raumschiff Enterprise beim „Beamen“ beherrscht – benötigen wir Verkehrswege, Brücken und Tunnel zum Transport von Menschen und Gütern. Techniker und Ingenieure beherrschen Planung, Bau und Betrieb der Infrastruktur von der Pfahl- bis zur Mastspitze.
Nun behaupten schlaue Leute, Techniker und Ingenieure seien zwar sehr bewandert in der Beherrschung der Schwerkraft, doch die Fliehkraft des Geldes unterläge nicht immer ihrer Kernkompetenz. Da mag etwas dran sein, aber mit BIM wird die Beherrschung von Technik, Kosten und Terminen in Zukunft ja ein Kinderspiel.
Zukunftsforscher bringen es vor dem Hintergrund der weltweiten Klimaveränderungen und der Bevölkerungsentwicklung auf den Punkt, wenn sie sagen, dass die Techniker und Ingenieure die Welt retten werden – nicht die Banker und Juristen. Da 90 % der Projektprobleme technische Gründe haben, sind diejenigen gefragt, die die Technik beherrschen und an der Lösung der Probleme interessiert sind. Begrenzen wir endlich den Einsatz derer auf ein Minimum, die
letztendlich nicht mit der Lösung des Problems, sondern mit dem Management des Problems ihr Geld verdienen.
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