Manfred Enning

Vom „König der Landstraße“ zur „Ameise 4.0“

Auf Eisenbahn- und Logistikkonferenzen werden gelegentlich Videos von Blattschneiderameisen gezeigt, die effizient und selbstorganisiert große Mengen Material durch den Dschungel transportieren. Daran sollen wir uns ein Beispiel nehmen. Das ist „Logistik 4.0“: Connectivity, Mass customization, Self organization. Alles da! Wie armselig wirkt da der Schienenverkehr mit seinen starren Strukturen. Auf der Straße ist man schon viel weiter. Die Rolle der Ameise hat der osteuropäische Wanderarbeiter im Transportgewerbe übernommen. Er fährt für einen Hungerlohn monatelang auf europäischen Autobahnen. Die Nächte verbringt er unruhig schlafend in seiner Koje, weil er die für ihn unerreichbaren Luxuswaren auf seiner Ladefläche auch noch bewacht. Da hat es die Ameise besser. Sie kann sich zumindest nachts unter Ihresgleichen im warmen Bau ausschlafen. Ansonsten sind die Bedingungen ähnlich. Keine kulturellen, familiären und sozialen Kontakte, keine gesellschaftliche Teilhabe. Dies sind Folgen einer nicht zu Ende gedachten Politik der Öffnung der Arbeits- und Transportmärkte in Europa.Übertragen wir das Modell doch auf den Schienengüterverkehr. Jeder Wagen wird mit einer Person besetzt, die Serviceaufgaben erledigt. Sie hilft beim Be- und Entladen und bringt mittels Tretkurbel den Wagen auf Wunsch zur Ladestelle. Kuppel- und Einstellvorgänge am Wagen übernimmt sie selbständig und die Bremsprobe ist eine Sache von Minuten und ein paar WhatsApp-Nachrichten. Nachts bewacht die Person die geladene Ware und in den Pausen führt sie Logbuch über Wartung, Einsatz und Ladung. Während der Fahrt hört sie auf verdächtige Geräusche und warnt gegebenenfalls den Lokführer. Kostet vielleicht 1000 € pro Wagen und Monat. Könnte ein wirtschaftliches Modell sein.Bevor wir ins Absurde abrutschen: Jedem ist klar, dass dies kein zukunftsfähiges Modell ist. Weder auf der Schiene noch auf der Straße. Der Straßengüterverkehr arbeitet intensiv daran, durch Platooning und autonomes Fahren von dem „Sklavenheer“ unabhängig zu werden. Und auch seinen CO2-Ausstoß möchte er durch Elektromobilität und alternative Kraftstoffe verringern. Wobei das Bild des Lkw mit Stromabnehmer dem einen oder anderen Bahner ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.Nun ersetzen wir die Person auf dem Wagen durch eine Handvoll am Markt verfügbarer Antriebs-, Automatisierungs- und Kommunikationstechnik und machen ihn so zu einem Güterwagen für das Internet-der-Dinge, zu einem „Güterwagen 4.0“. Zugegeben, das kostet ein paar Tausend Euro. Aber sogar im Einzelwagenverkehr werden die Prozesse schneller und planbarer, so dass man die Devise: „So billig wie möglich“ für den Güterwagen bald auf den Müllhaufen der Geschichte werfen kann. Und der Volksmund weiß: „Umsonst ist nur der Tod“. Wirtschaftlich heißt nicht billig, sondern so viel Invest in die Wagentechnik, wie notwendig ist, um nachhaltig Erträge zu erzielen.



<link file:21428 _blank download>Hier können Sie den Beitrag als pdf runterladen.

Artikel von Gastkommentar aus der ETR, Ausgabe 1+2/17
Artikel von Gastkommentar aus der ETR, Ausgabe 1+2/17