Hartmut Gasser

„Alle reden vom automatischen Fahren. Wir nicht.“

 

Gastkommentar von Hartmut Gasser, Ehrenvorsitzender des NEE (Netzwerk Europäische Eisenbahn) und freier Rail Consultant zur aktuellen Diskussion über das autonome Fahren auf der Straße.

Das Thema automatisches Fahren im Straßenverkehr beherrscht die Nachrichten. Die derzeit stattfindende Automobilmesse konzentriert sich ebenfalls auf dieses Thema. Einige deutsche Automobilhersteller haben gemeinsam eine Firma erworben, die Vorreiter in der Entwicklung von Navigationssoftware ist – ein ganz wichtiger Baustein für das automatische Fahren. Die Vorteile, die der Sektor Straßenverkehr durch automatisches Fahren (das aus psychologischen Gründen nicht mehr fahrerlos genannt wird) erreichen will, liegen auf der Hand: bessere Nutzung des Straßenraums, dadurch staufreies Fahren, weniger Unfälle und nicht zuletzt Verkauf neuer, innovativer Fahrzeuge. Bislang nicht angesprochen wurde für den Güterverkehr der bereits vorhandene Mangel an Lkw-Fahrern. Wer automatisch im sprichwörtlichen Stau des Kölner Rings „fährt“, verbraucht keine Lenkzeit, kann also länger fahren. Der Unternehmer braucht weniger Personal und reduziert damit auch Kosten.
Vom automatischen Fahren auf der Schiene hört man – Nichts. Dabei weist das System Schiene für automatisches Fahren erhebliche Vorteile gegenüber der Straße auf. Zum Beispiel sind die Spurhaltung durch den Fahrweg, und der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug durch die Signaltechnik vorgegeben. Die Funktion des Lokführers beschränkt sich im Kern schon heute auf das Einhalten der zulässigen Geschwindigkeit. Weshalb tut sich also nichts, um das uneingeschränkte automatische Fahren auf der Schiene zu erreichen?
Zum einen ist die Innovationsfreude des Sektors Bahn generell sehr gering ausgeprägt. Zum Teil hat das mit der langen Lebensdauer der Fahrzeuge und Infrastrukturen zu tun. Wesentlicher ist aber, dass der Sektor weitestgehend die oligopolistischen Strukturen und das Staatsbahndenken nicht losgeworden ist. Es ist viel einfacher und kurzfristig profitabler, an alten Techniken und Methoden festzuhalten. Jedes Mal, wenn eine Innovation für den Bahnsektor am Horizont erscheint, wird so lange zwischen den verschiedenen Akteuren diskutiert und abgestimmt, bis sie zum Zeitpunkt der Einführung von der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung überholt ist und ihren eigentlichen Zweck nicht mehr erfüllt.
Wir wiegen uns in dem Glauben, dass das System Schiene arteigene Vorteile aufweist und deshalb von der Politik gefördert wird. Wir wissen nicht, was passiert, wenn die Vorteile verloren gehen, weil der Wettbewerber aufholt. Der Bahnsektor muss dringend etwas tun, um sein Geschäft voran zu bringen. Das automatische Fahren kann zur Überlebensfrage für den Bahnsektor werden. Ehemalige Traumberufe wie Pilot, Lokführer, Lkw-Fahrer (Kapitän der Straße) haben ihre Attraktion beim potentiellen Nachwuchs längst eingebüsst. Die EVU merken das schon jetzt schmerzhaft. Es ist weiterhin ein Irrglaube, dass wegen der hohen Wagenzahlen, die ein Lokführer in seinem Zug befördert, dessen Kosten zur vernachlässigbaren Größe werden.
Die Straße redet nicht nur, sie macht. Die ersten fahrerlosen Omnibusse gehen in Betrieb, Lastwagen stehen kurz davor. Wenn wir nicht wollen, dass der Rückstand der Schiene unaufholbar wird, müssen wir jetzt die Diskussion beginnen, um nicht gegenüber der Straße zu verlieren.
Das trostlose Missmanagement bei der Einführung der Signaltechnik ETCS/ERTMS hat wenigstens etwas Gutes: Man kann einen Re-Start mit der Innovation automatisches Fahren verknüpfen. Je schneller Standards gesetzt werden, desto besser – packen wir es an!

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Artikel von Statement aus Rail Business Ausgabe 40/15
Artikel von Statement aus Rail Business Ausgabe 40/15