"Deutschland läuft Gefahr, bei KI ins Hintertreffen zu geraten"
Deutschland verpasst die Kommerzialisierung von KI und droht deshalb den Anschluss in der Technologie zu verlieren. Der Bahnsektor sollte sich offen für Kooperationen zeigen, meint Georg Kern.
Liebe Leserinnen und Leser,
künstliche Intelligenz (KI) spielt schon heute eine wichtige Rolle im Bahnsektor – und wer wollte bestreiten, dass dies künftig nicht noch viel mehr der Fall sein wird? Umso bedenklicher, dass Deutschland insgesamt in Sachen KI zurückfällt. Es scheint sich ein ein Muster zu wiederholen, wie es bereits aus der frühen Geschichte des Internets bekannt ist.
Anfang der 1990er Jahre wurde die Technologie der Öffentlichkeit immer mehr zugänglich gemacht. Auch Wissenschaftler aus Deutschland hatten sie mitentwickelt, verstanden und beherrschten sie. Dann aber schlug die Stunde gewitzter Unternehmer aus den USA: So früh wie sonst niemand begriffen sie das kommerzielle Potenzial des World Wide Webs. Heute sind die GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) die unangefochtenen Champions des Internets, zumindest in der westlichen Hemisphäre. Und allesamt sitzen diese Unternehmen in den USA.
Bei KI droht es inzwischen ähnlich zu laufen. Mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) verfügt die Bundesrepublik zwar über ein exzellentes Netzwerk für Grundlagenforschung, das die Entwicklung der Technologie vorantreibt. In Sachen Kommerzialisierung aber spielt die Musik schon längst wieder in den USA. Seit das kleine kalifornische Unternehmen OpenAI seinen Chatbot ChatGPT online gestellt hat, überschlagen sich die Ereignisse. Microsoft investiert Milliarden, Elon Musk auch. Und Google stellte kürzlich Bard vor, einen ChatGPT-Konkurrenten, den viele sogar für vielversprechender halten als das Original.
Was in Deutschland fehlt, sind nicht die klugen Köpfe. Es fehlt an frischem, ehrgeizigem, ja mitunter größenwahnsinnigem unternehmerischem Denken. Und es fehlt an mutigen Risikokapitalgebern. Deshalb droht Deutschland bei KI den Anschluss zu verlieren – und dies, obwohl es auch hierzulande einige sehr vielversprechende KI-Unternehmen gibt wie Aleph Alpha und Deepl.
Aber was folgt daraus für den Bahnsektor? Auch dort ist das Potenzial von KI längst erkannt worden – und sie kommt in Bereichen wie Zugdisposition oder Predictive Maintenance inzwischen effektiv zum Einsatz. Wichtig ist jedoch, den Blick nicht zu sehr auf die Lösung im eigenen Unternehmen zu verengen. Stattdessen sollten branchenübergreifende Kooperationen angestrebt werden. Derselbe Algorithmus, der den Wartungsbedarf von Zügen analysiert, lässt sich möglicherweise auch für Autos oder Kühlschränke verwenden. Sprachmodelle wie sie ChatGPT oder Deepl entwickelt haben, bergen ungeheures Potenzial für den Kundenservice. Neugierig und offen bleiben in dieser spannenden Phase, in der eine neue Technologie ihre Wirkmacht enfaltet – darauf kommt es jetzt an. Wenn das gelingt, hat Deutschland gute Chancen, bei KI vorne dabei zu bleiben.
Ihr
Georg Kern
Chefredakteur Eurailpress