Chris Jackson
"Anbindung des Vereinigten Königreichs (UK) an das europäische Netz"
Im nächsten Monat, im Mai 2014, begehen wir den 20. Jahrestag der Eröffnung des Kanaltunnels, der festen Verbindung zwischen dem Eisenbahnnetz des Vereinigten Königreichs und dem europäischen Kontinent. Doch das Volumen im Güter- und Personenverkehr liegt derzeit noch deutlich unter dem beim
Projektstart prognostizierten Niveau.
Mehr als 20 Millionen Menschen nutzen den Tunnel jedes Jahr, in Reisezügen und Pkw-Shuttlezügen. Letztes Jahr erreichten die Fahrgastzahlen der Eurostar-Züge zwischen London, Paris und Brüssel erstmals 10 Millionen. Eurotunnel, der Betreiber des Kanaltunnels, ist überzeugt, dass der Verkehr zunehmen wird, wenn mehr Reiseziele im durchgehenden Zugverkehr angeboten werden. Eine kürzlich erstellte Studie von PwC lässt erwarten, dass die Fahrgastzahlen bis 2020 auf 14,2 Millionen Passagiere/Jahr ansteigen können, wobei durchgehende Züge nach Genf, Amsterdam, Köln und Frankfurt 3,5 Millionen Reisen generieren könnten.
Eurostar ist bereit, ab 2016 Amsterdam anzufahren, aber seine e320-Velaro-Züge müssen noch im Hinblick auf die hohen Sicherheitsanforderungen des Tunnelbetriebs zertifiziert werden. Inzwischen haben Zulassungsprobleme bei den ähnlichen Zügen der Baureihe 407 (ICE) in Belgien und Frankreich die DB Fernverkehr AG zur Rücknahme ihres Vorschlags für einen ICE-Verkehrs zwischen Frankfurt und London bewogen, den der
DB-Vorsitzende Rüdiger Grube im Oktober 2010 schon für das Jahr 2013 in Aussicht gestellt hatte. Dieser wird nun wohl kaum vor 2016 als frühestem Termin beginnen, und die DB hat noch nicht die zusätzliche Ausrüstung bestellt, die die Züge der Baureihe 407 für den Betrieb durch den Kanaltunnel benötigen. Andere europäische Betreiber – sowohl staatliche wie private
– haben ebenfalls Interesse an einem Zugverkehr nach London bekundet, aber alle haben sich zurückgezogen, sobald sie die technischen, sicherheitlichen und kommerziellen Hürden entdeckt haben, die es dabei zu überwinden gilt.
Eines der größten Hindernisse für den Markteintritt sind die Kosten und die Komplexität der Grenz- und Sicherheitskontrollen. Da das Vereinigte Königreich nicht zu den Unterzeichnern des Schengen-Vertrags zählt, müssen sich alle internationale Passagiere vor dem Einsteigen der Pass-, Zoll- und Gepäckkontrolle unterziehen, was logistische Probleme an den Bahnhöfen nach sich zieht und die Reisezeiten verlängert. Die Reise mit dem saisonalen Eurostar-Zug zwischen London und Südfrankreich dauert in Richtung Norden 90 Minuten länger, weil alle Passagiere nach Großbritannien im Bahnhof Lille Europe mit ihrem Gepäck aussteigen müssen, um sich den Grenzkontrollen
zu unterziehen. Die SNCF hat gerade ein 3 Mio. € -Projekt begonnen, um die Kapazität der Warte- und Sicherheitsbereiche in diesem Bahnhof zu verdoppeln.
Die aus Sicherheitsanforderungen erwachsenden Einschränkungen behindert auch die Rentabilität der internationalen Züge, da diese von binnenländischen oder innerhalb des Schengen-Raums Reisenden nicht ohne Sondereinrichtungen genutzt werden können, wie sie beispielsweise für die Eurostar-Reisenden zwischen Brüssel und Lille vorgehalten werden. Pläne für einen Zugverkehr von Kontinentaleuropa über London hinaus zu anderen Städten in Großbritannien sind aus dem gleichen Grund ins Stocken geraten.
Ähnlich verhält es sich im Güterverkehr. Das Volumen des Schienengüterverkehrs im Kanaltunnel ist immer noch geringer als die Gütermenge, die vor zwei Jahrzehnten auf den Eisenbahnfähren befördert worden ist. Die Probleme sind Legion. Streiks, hohe Kosten, Zoll und Sicherheit – alles dämpft den Verkehrsanteil der Schiene, ganz abgesehen von den technischen Beschränkungen hinsichtlich der Baureihen der Lokomotiven und Güterwagen, die durch den Tunnel fahren dürfen.
Rund um den Tunnel versammeln sich illegale Migranten und Asylsuchende – eine ständige Herausforderung für den Grenzschutz des UK. Es liegt nahe, dass eine Lockerung der langfristig angelegten Sicherheitsvorkehrungen sehr unwahrscheinlich ist. Einige Kreise scheinen der Ansicht zu sein, es reiche aus, Eisenbahn-Regelwerke mit den TSI und den europäischen Richtlinien in Einklang zu bringen. Aber die Eisenbahn-Verkehrsunternehmer im Reise- und Güterverkehr müssen Wege finden, wie sie ihren Wirkungsraum ausweiten, die Qualität ihrer Dienstleistungen verbessern und gleichermaßen die technischen Probleme lösen können. Wenn dieses breite Spektrum von Hindernissen nicht in einer konzertierten Anstrengung angegangen wird, scheint es noch in weiter Ferne zu liegen, bis der Eisenbahnverkehr durch den Kanaltunnel sein volles Potenzial erreicht.
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