Personen & Positionen

Susanne Henckel: Kapazität wird reguliert

Susanne Henckel; Quelle: BMDV

Susanne Henckel ist seit 10 Monaten Staatssekretärin im Verkehrsministerium. Sie setzt den Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur um. Ihre Überzeugung ist, dass der Nutzen für Bevölkerung und Wirtschaft direkt erfahrbar sein muss.

Sie sind seit April 2022 beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Welche Schwerpunkte haben Sie sich für die kommenden Jahre gesetzt?

Mit der sich verändernden geopolitischen Lage wurde die Bedeutung einer leistungsfähigen und robusten Infrastruktur für Mobilität in Deutschland besonders auffällig. Deshalb gilt meine volle Aufmerksamkeit natürlich der Sicherung und der Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur sowie der Schaffung neuer, zukunftsfähiger Kapazitäten. In meiner Position bin ich dabei nicht nur für die Schiene, sondern auch für die Bundesfernstraßen und die Wasserstraßen zuständig.

Welche Bedeutung räumen Sie der Verbesserung speziell der Kapazitäten auf der Schiene ein?

Natürlich schlägt mein Herz für Schieneninfrastruktur, besonders, weil wir hier Handlungsdruck haben. Wir müssen deshalb die Erhöhung und Sicherung von Kapazität auf den Trassen und Stationen nicht nur als Ziel in den Fokus nehmen, sondern sie auch so schnell als möglich umsetzen. Für mich ist deshalb der Deutschlandtakt als Zukunftskompass für die Schiene sehr wichtig. Denn nur mit besser aufeinander abgestimmten Zügen und damit besserer Ausnutzung der Trassen können wir Kapazitäten nutzen und Qualität schaffen.

Außer dem Deutschlandtakt wird auch die Gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft „InfraGo“ Anfang 2024 kommen. Was sind hier Ihre Zielsetzungen?

Der Koalitionsvertrag sieht ausdrücklich eine umfassende Reorganisierung der Eisenbahninfrastruktur der Deutschen Bahn vor. So werden die Infrastruktureinheiten von DB Netz und DB Station & Service und gegebenenfalls weitere Tochtergesellschaften innerhalb des Konzerns zu einer neuen und – dem Koalitionsvertrag folgend – gemeinwohlorientierten Sparte zusammengelegt. Konkretes Ziel der „Infra-Go“ ist, sicherzustellen, dass eine im Sinne des Gemeinwohls attraktive, qualitativ hochwertige und verlässliche Infrastruktur sowohl auf der Strecke als auch in den Bahnhöfen bereitgestellt werden kann, die sich an den Bedürfnissen der Kunden orientiert.

Sie kommen aus dem Personennahverkehr. Zuletzt waren Sie Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg und Präsidentin des Bundesverband Schienenpersonennahverkehr (BSN). Ihre Amtszeit startete dann gleich mit dem 9-Euro-Ticket.

Tatsächlich bin ich zu einem Zeitpunkt ins Haus gekommen, als die Forderung nach einer nutzerfreundlichen Ticketlösung gerade auf dem Tisch lag. Das bundesweite Deutschlandticket, das in diesem Frühjahr in die Umsetzung geht, ist sicherlich etwas, bei dem ich meine Kompetenz aus meiner früheren Tätigkeit beim Verkehrsverbund einbringen kann.

Sie habe viele Weichen zu stellen. Unter anderem sind Sie auch für das Deutschlandtaktbüro zuständig, das im Juli 2022 gestartet ist. Was sind die konkreten Pläne für 2023 und was wird das Büro aktiv angehen?

Um deutlich zu machen, dass unser Haus hinter dem Deutschlandtakt steht, haben wir eine eigene Stabsstelle eingerichtet. Mit Hilfe des Deutschlandtakt-Büros führen wir nicht nur viele Gespräche mit der Branche, sondern tragen auch die Arbeit der Stabsstelle in die Branche hinein. Es geht ja um wichtige Zukunftsfragen. 2022 hat das Deutschlandtakt-Büro sehr erfolgreich vier Regionalkonferenzen durchgeführt. Für 2023 haben wir uns eine 6-Punkte-Agenda gegeben, die wir konsequent umsetzen werden.

Welche sechs Punkte stehen auf der Agenda des Deutschlandtakts?

Ganz oben auf der Agenda an Nummer eins steht, ein ganzheitliches Etappierungskonzept des Bundes mit verbindlichen Ausbauschritten der Infrastruktur zu etablieren und auskömmlich mit Finanzmitteln auszustatten. Dies ist zur Steuerung der Gesamtstrategie Deutschlandtakt erforderlich. Der zweite sehr wichtige Punkt ist, dass wir den Deutschlandtakt im Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) absichern, indem wir Kapazitätsaspekte in das Gesetz aufnehmen und so Verbindlichkeit und Planungssicherheit herstellen.
Ganz wichtig ist für mich auch Punkt drei, die Entwicklung eines Kommunikationskonzeptes, mit dem wir den Deutschlandtakt bekannter machen, die Marke weiterentwickeln und mit den Menschen in den Dialog kommen.
Vierter Punkt ist auch 2023 eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Sie ist so wichtig, weil es so viele verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten und Maßnahmenpakete gibt, die alle gemeinsam helfen, die entsprechenden Etappen des Deutschlandtaktes umzusetzen. Die Bundesländer spielen hier eine Schlüsselrolle. Dann wollen wir fünftens natürlich den Zielfahrplan „Deutschlandtakt“ im Regelprozess mit allen Beteiligten auf Bundes- und Landesebene und mit der Branche fortschreiben. Und last but not least wollen wir die Fahrplankonzepte im Deutschlandtakt sicherstellen.

Eine große Frage ist die Priorisierung von Trassennutzung. Die Bundesnetzagentur hat angestoßen, darüber nachzudenken, dass bei Fahrplanerstellung und Trassenvergaben auch der gesellschaftliche Nutzen darüber entscheiden soll, welcher Verkehr bei knappen Kapazitäten eine Trasse bekommt. Wie ist hier Ihre Position und welche Bewertungskriterien könnten Sie sich vorstellen?

Die Diskussion um den Begriff „gesellschaftlicher Nutzen“ wurde schon durch die für Pilotprojekte geschaffene Erprobungsklausel, §52a des ERegG, angestoßen. Diese führt den Begriff gesellschaftlicher Nutzen in das ERegG ein und ermöglicht dem BMDV, per Verordnung festzulegen, dass auf bestimmten Strecken zur Erprobung von der gegebenen Priorisierung (zuerst Taktverkehre, dann Grenzverkehre, dann Güterverkehre) abgewichen werden kann.
Wir haben allerdings gemerkt, dass diese Möglichkeit nicht ausreicht. Deshalb hat Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing die Entscheidung getroffen, dass wir in dieser Legislaturperiode eine Kapazitätsplanung im Eisenbahnregulierungsgesetz verankern werden. Denn das Ziel muss sein, dass die Schiene gerade da, wo es Kapazitätsengpässe gibt, besser genutzt werden kann. Das ist auch deshalb so wichtig, weil der Güterverkehr auch im Deutschlandtakt eine zentrale Rolle spielen soll.

Kapazitätsplanung soll im Eisenbahnregulierungsgesetz verankert werden - gibt es schon Eckpunkte der Ausgestaltung?

Für uns ist es sehr wichtig, dass wir in Zukunft ein funktionierendes System von Kapazitätsplanung und Trassenzuweisung haben, das den Verkehrsbedürfnissen der Fahrgäste, den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch der Wirtschaft gerecht wird. Anstatt jetzt ein kleines Rad zu drehen, wollen wir die Kapazitätsplanung ganzheitlicher betrachten und auch überprüfen, mit welchen Instrumenten wir was erreichen können. Wir haben schon im Deutschlandtakt deutlich gemacht, dass wir Personenverkehr und Güterverkehr gleichberechtigt sehen wollen.
Bisher werden jedoch im Eisenbahnregulierungsgesetz die Kapazitätsbedürfnisse der Nutzer insgesamt zu wenig berücksichtigt. Status quo ist, dass jedes Eisenbahnverkehrsunternehmen so viele Trassen bestellen kann, wie es will, und dass die Betreiber der Schienenwege, also allen voran die DB Netz AG, versuchen müssen, allen gerecht zu werden. Wenn das nicht gelingt, gibt es einen Prozess für den Konfliktfall, der durchdekliniert wird. Dies wurde immer kritischer, je mehr das Netz ausgelastet wurde. Die Prioritätsregel, nach denen die Konfliktfrage, wer im Jahresfahrplan eine Trasse erhält, augenblicklich gelöst werden muss, gibt den Taktverkehren, dazu gehört auch der SPNV, den Vorrang. Dies hat dem Güterverkehr nicht gutgetan. Deshalb wollen wir jetzt den Kapazitätsbedarf der einzelnen Verkehrsarten vorab ermitteln und dann bedarfsgerecht auf die einzelnen Verkehrsarten verteilen. Wir wollen damit harte Trassenkonflikte reduzieren und die Kapazitätsnutzung des Schienennetzes optimieren. Wir glauben, dass ein solches Vorgehen eher passt als unkoordinierte Bestellungen ins Blaue hinein.

Das heißt, im neuen Eisenbahnregulierungsgesetz soll die Nachrangstellung des Güterverkehrs aufgehoben werden?

Der Güterverkehr ist gleichberechtigt und wir denken ihn von Beginn an gleichberechtigt mit. Es wird also nicht dazu kommen, dass zuerst der Personenverkehr alle Wünsche erfüllt bekommt und erst danach der Güterverkehr den Rest der noch verfügbaren Trassen erhält. Dies umzusetzen ist nicht ganz einfach. DB Netz hat zum Glück vorgearbeitet und ein Verfahren entwickelt, in dem wir gemeinsam mit der Branche herausarbeiten, wie das Ganze umgesetzt werden kann. Ganz wichtig ist natürlich, dass man die Bedarfe des Güterverkehrs kennt. Es muss uns gelingen, auch die Bedürfnisse der kurzfristigen und flexiblen Verkehre im Schienengüterverkehr anzuerkennen und gesetzlich abzusichern.

Hupac-Chef Michail Stahlhut hatte im ETR-Interview im Oktober 2022 angemerkt, dass Deutschland gerade im Güterverkehr ein Durchfahrtsland sei und es nicht sein könne, dass Deutschland allein für sich Planungen mache, Takte ausarbeite und die anderen Länder in Bezug auf Kapazität schauen müssten, wo sie bleiben. Wie ist da Ihre Position?

Ich gebe Herrn Stahlhut durchaus recht. Deswegen sind wir bei der Fortschreibung des Deutschlandtaktes und bei den kommenden Etappierungen auch im Austausch mit unseren Nachbarn. Grundsätzlich hat dieser Austausch für uns eine sehr hohe Priorität. Mir ist es wichtig, diese gegenseitige Verständigung über gemeinsame Themen wie Digitalisierung und ETCS nicht schleifen zu lassen, sondern deutlich zu machen: „Ja, wir sind uns unserer Verantwortung bewusst.“ Dies ist aus meiner Sicht der richtige Weg um die europäische Zusammenarbeit, die sich gerade sehr gut entwickelt, weiter voranzubringen.

Die EU hat sich ebenfalls auf die Fahne geschrieben, ein Kapazitätsmanagement einzuführen, EU-weit. In diesen Prozess sind Sie sicher auch involviert.

Ja, über die Fachabteilungen bin ich im Prozess involviert. Ich habe dazu Gespräche mit den Nachbarländern geführt und denke, dass wir gute Ideen einbringen können.

Der Sektor war sehr erleichtert, dass die Schienenbahnen beim Energiepreisdeckel berücksichtigt werden. Auch die Trassenpreisförderung ist hilfreich. Die größte Veränderung 2023 wird sicherlich die Einführung des bundesweiten Deutschlandtickets sein, das die Wahrnehmung der Schiene als Instrument der Mobilität in der Bevölkerung verbreitern wird.

Das bundesweite Deutschlandticket zeigt, dass wir uns im BMDV nicht nur um Infrastruktur, neue Gesetze und neue Formen der Steuerung der Deutschen Bahn Gedanken machen, sondern konkret den Menschen etwas anbieten: Ein Verbund übergreifendes Ticket, mit dem auch Menschen mit wenig Geld den vorhandenen und sehr guten öffentlichen Verkehr nutzen können. Ich bin ziemlich sicher, dass das 9-Euro-Ticket im Sommer 2022 maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Busse und Bahnen nach dem Einbruch durch die Corona-Pandemie jetzt wieder voll besetzt sind. Die Menschen haben sich im Sommer auf das Abenteuer ÖPNV und Eisenbahn eingelassen und erfahren, dass sie mit dem öffentlichen Verkehr an ihr Ziel kommen – wenn es manchmal auch sehr voll in den Fahrzeugen war. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viele Menschen es mit dem Deutschlandticket einfacher finden werden, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Das Beispiel Deutschlandticket zeigt noch einmal, dass Bund und Länder, wenn sie zusammenarbeiten, auch jenseits der Parteienlandschaft, viel tun können für einen, wie ich finde, schon sehr guten Schienenverkehr in Deutschland.

Was werden die Auswirkungen auf die Verkehrsverbünde sein? Werden sie überflüssig?

Ich persönlich glaube, dass das Deutschlandticket eine Chance für die Verkehrsverbünde ist, das gesamte Tarifportfolio zu vereinfachen. Die Verkehrsverbünde sind zentrale Partner für die Mobilitätsaufgaben der Zukunft, denn sie stehen mit ihrer Kompetenz zwischen der Politik, den Unternehmen und den Fahrgästen. Das heißt, wir brauchen sie umso mehr. Denn die Digitalisierung gibt uns die Chance, die Angebote individueller und genauer auf die Bedürfnisse der Fahrgäste abzustimmen. Deswegen trägt das Deutschlandticket zur Stärkung der Verkehrsverbünde bei.

Was sind dann noch die Aufgaben der Aufgabenträger?

Wie ich es verstanden habe, war es immer deren Aufgabe, diese Mobilitätskonzepte für ihre Region zu entwickeln. Die Länder haben unterschiedliche Institutionen mit der Wahrnehmung beauftragt, manchmal die Aufgabenträgerverbünde, manchmal Landesgesellschaften oder auch Zweckverbände. Für alle gilt das eben Gesagte genauso, denn auch sie haben die Aufgabe, die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft zu erfüllen und die Finanzierung der Zukunft auf den Weg zu bringen. Wir haben mit Dekarbonisierung, Letzte-Meile-Angeboten und Elektrifizierung viel zu tun und alle Partner werden gebraucht.

Die Trassenpreisförderung und letztlich auch der Strompreisdeckel beim Bahnstrom kommt bei den Güterbahnen in nicht unbeträchtlicher Menge auch ausländischen Bahnen zu gute. Ist dies ein Diskussionspunkt, da Kritiker einwenden könnten, dass die deutschen Steuerzahler österreichische, schweizerische oder niederländische Verkehrsunternehmen mit subventionieren?

Nein, das ist kein Diskussionspunkt. Diese Unternehmen helfen uns, dass der Güterverkehr auf der Schiene gut funktioniert und die Bürgerinnen und Bürger von Lärm und Schadstoffbelastung der Luft durch Straßengüterverkehr entlastet werden.

Zum Schluss eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?

Gerne abends auf dem Sofa mit einem guten Glas Wein und diversen Eisenbahnmagazinen und weiteren Fachzeitschriften.


Das Interview aus der Eisenbahntechnischen Rundschau 1-2/2023 führte Dagmar Rees.

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress