Personen & Positionen

Stefan Dernbach: Wir müssen die Vorhaben priorisieren

Stefan Dernbach; Quelle: Rainer Unkel

Stefan Dernbach ist seit September 2023 Präsident des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA). Der Jurist ist seit 1994 beim EBA und kennt alle Prozesse und alle Beteiligten. Seine Aufgabe sieht er darin, die Weiterentwicklung des Sektors durch kluge Vereinfachung der Verwaltungstätigkeiten zu unterstützen.

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist ein Kind der Bahnreform in den 1990er-Jahren und kann 2024 auf 30 Jahre Tätigkeit als Bundesoberbehörde zurückblicken. Sie sind seit Gründung dabei - wie hat sich die Rolle im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?

Wir sind in die Rolle einer Bundesoberbehörde hineingewachsen und haben die hoheitlichen Aufgaben von Reichsbahn und Bundesbahn übernommen. Dabei haben wir uns von Beginn an nie als preußische Behörde gefühlt, sondern bei aller Klarheit der Rollen auch als Partner der Bahnindustrie, der Infrastrukturbetreiber und der Verkehrsunternehmen. Unser Ziel ist, die Unternehmen konstruktiv zu unterstützen. Wir haben von Anfang an nicht nur Sicherheitsaufgaben übernommen, sondern auch Funktionen im weiteren Umfeld wie Finanzierung oder Planfeststellung, die nicht primär sicherheitsrelevant sind. Von daher war unser Portfolio schon immer breiter angelegt als bei klassischen  Sicherheitsbehörden. Unsere Aufgaben haben sich seitdem sukzessive erweitert beispielsweise in den Bereichen Umwelt und Lärm, Fahrgastrechte,  in der Kapazitätsüberwachung der Eisenbahninfrastruktur und in der Schienenverkehrsforschung. Das EBA hat sich über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. 

Welche Veränderungen stehen jetzt an?

Eine wesentliche Veränderung sehe ich darin, dass wir ein Stück weit die Gründung und auch die ersten Gehversuche der InfraGo begleiten dürfen. So haben wir die Übertragung der Genehmigungen von DB Netz und DB Station&Service auf die DB InfraGo AG erfolgreich abgeschlossen. Jetzt geht es im Wesentlichen darum, die Finanzierungselemente und die Finanzierungsverfahren der InfraGo so anzupassen, dass der Bund schneller, effizienter und gleichzeitig sparsam den Infrastrukturbetreiber finanziell unterstützen kann. Dies wird uns in den nächsten sechs bis zwölf Monaten intensiv beschäftigen. 

Was genau soll verändert werden?

Im Rahmen der InfraGo soll jetzt zusätzlich auch die Instandhaltung gefördert werden. Es ist die Rede davon, auch die Personenbahnhöfe finanziell auskömmlicher auszustatten. Man hat außerdem erkannt, dass die Finanzierungsumläufe beschleunigt werden müssen. Wir unterstützen das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) dabei, hier andere, schnellere Verfahren zu entwickeln. Dies geschieht in Abstimmung mit der InfraGo; doch der primär Handelnde ist hier der Bund. Vieles ist noch im Fluss.  Doch ich gehe davon aus, dass in den kommenden Monaten auch Konzepte entwickelt werden für die Kennzahlen einer Vereinbarung, mit denen die Leistung der DB InfraGo gemessen werden soll, auch in Hinblick darauf, ob die Gemeinwohlorientierung erreicht wird.  

Sind dies Konzepte und Verfahren, die dann auch in den Infraplan einfließen?

Der Infraplan selbst wird vermutlich keine Finanzierungselemente beinhalten, jedoch sehr wohl die angedachte Leistungsvereinbarung. Aber natürlich muss die Finanzierung mit dem InfraPlan zusammenpassen und abgestimmt sein. Man versucht richtigerweise, die Anzahl der Fördertöpfe zu reduzieren. Mein Petitum ist jedoch, dass wir auch die Prozesse einfacher gestalten müssen, um bei der Erarbeitung der Finanzierungsvereinbarungen schnellere Verfahren zu haben und die Nachtragsverhandlungen zügiger durchführen zu können. Es gilt, neue Modelle hierfür zu entwickeln. Hier sehe ich das Eisenbahn-Bundesamt während der kommenden sechs bis zwölf Monate in beratender und unterstützender Funktion für das BMDV.

Wird die Leistungsvereinbarung dann den Infrastrukturbericht ablösen?

Das kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, doch wird der Infrastrukturbericht in seiner jetzigen Form wahrscheinlich nicht mehr existieren. Vielmehr wird man andere Berichtsformen entwickeln und auch andere Kennzahlen.

Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastruktur sollen insgesamt beschleunigt werden. Was wurde bisher erreicht und wo sehen Sie noch Verbesserungsmöglichkeiten? 

Wir haben in den letzten zwei bis drei Jahren einige gesetzgeberische Aktivitäten zur Planungsbeschleunigung, insbesondere in der Planfeststellung, etablieren können. Aus meiner Sicht sind dort jetzt die Entwicklungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft, weil ein Planfeststellungsverfahren unabdingbare Komponenten hat, die man nicht beschleunigen kann. Man muss Pläne auslegen, Verbände anhören und auch private Betroffene. Das Ganze geht dann in den Abwägungsvorgang, bei dem die unterschiedlichen Interessen vor einer Entscheidung gegeneinander abgewogen werden. Dies Alles kostet seine Zeit und erfordert Fachleute - ein Planfeststellungsverfahren kann man nicht „mal eben so“ durchführen. Doch wir haben viele kleine Vorhaben planrechtsfrei gestellt, so dass sich die Kolleginnen und Kollegen bei der Planfeststellung im EBA auf die größeren Vorhaben konzentrieren können. 

Durch Planrechtfreistellung kleinerer Vorhaben schaffen Sie also mehr Ressourcen im EBA für größere Projekte - wie viel schneller werden dadurch die Verfahren? 

Wie viel das ausmacht, ist augenblicklich schwer greifbar. Bei den kleinen Vorhaben wird das möglicherweise DB InfraGo beurteilen können, da sie den Überblick hat, wie lange ihre Vorhaben üblicherweise gebraucht haben und wie lange sie jetzt benötigen. Bei den großen Vorhaben ist ein Vergleich ebenfalls schwer zu ziehen, weil alle Großprojekte Unikate sind. Doch ich bin überzeugt, dass wir durch die jetzt mögliche stärkere Konzentration auf größere Projekte hier schneller werden. 

Was können aus Ihrer Sicht Vorhabenträger tun, um die Prozesse zu beschleunigen?

Beschleunigungspotenzial hat der Aufbau von mehr Planungskapazitäten bei den Vorhabenträgern. Wir stellen fest, dass dort die Personaldecke dünn ist, nicht nur bei den klassischen Ingenieur- und Planungsbüros, sondern auch bei den Fachbüros für Themen aus den Bereichen Umwelt- und Naturschutz, Grundwasser, Schall- und Erschütterungsschutz. Infrastrukturvorhaben erfordern immer Fachgutachten in diesen Bereichen. Wenn man hier zu wenig Kapazitäten hat, sind die Unterlagen schlecht und das Vorhaben dauert entsprechend länger. Was ebenfalls hilft Vorhaben schneller umzusetzen, ist eine stringente Priorisierung. Zurzeit leiden wir etwas darunter, dass die Vorhabenträger viele Maßnahmen beginnen und mangels qualitativer Durchdringung nicht fertigbekommen. Deswegen ist es wichtig, dass sich der Vorhabenträger im Schulterschluss mit der Politik und auch der Finanzierung, sprich dem Bund, auf eine Priorisierung einigt und diese dann auch beibehält, damit wir diese Vorhaben zügig durchführen können.  

Die Infrastruktur soll verstärkt mit ETCS ausgerüstet werden – noch nicht gelöst ist die Frage, wie die Nachrüstung der Fahrzeuge zu organisieren ist. Haben Sie hierzu eine Haltung? 

Die Implementierung von ETCS ist ein sehr ehrgeiziges Projekt, sowohl bei der Infrastruktur als auch in der Nachrüstung der Fahrzeuge. Viele kleine Bausteine können zum Erfolg führen – den Königsweg gibt es da nicht. Wir sollten in der Fahrzeugzulassung an den Anforderungen arbeiten und standardisierte, vielleicht auch einfachere, Nachweisverfahren entwickeln; natürlich ohne Verlust der Sicherheit. Das ist zwar ein Spagat, doch es lohnt sich, hier Arbeit zu investieren. Allerdings nehme ich eine gewisse Zurückhaltung des Sektors bei der Frage der Nachrüstung der Fahrzeuge mit ETCS wahr. Die Fahrzeugbetreiber und -halter sind hier im Obligo: Sie müssen die zeitgerechte ETCS-Ausrüstung sicherstellen, damit ihre Fahrzeuge auf der Infrastruktur fahren können. Natürlich ist eine finanzielle Unterstützung des Bundes hilfreich. Doch nur wenn die Fahrzeughalter und -betreiber ihre Verantwortung bei der ETCS-Nachrüstung wahrnehmen, werden wir hier entscheidend vorankommen.  

Augenblicklich wird auch heftig diskutiert, wie die ETCS-Nachrüstung koordiniert wird und von wem. Vorgeschlagen ist augenblicklich eine Koordination innerhalb von DB InfraGo. 

Als ich das erste Mal mit dem Thema ETCS-Nachrüstung in Kontakt kam, habe ich überhaupt nicht verstanden, wo das Problem liegt. Wie gesagt, es ist die ureigenste Aufgabe des Fahrzeughalters beziehungsweise  -betreibers, dafür Sorge zu tragen, dass die Fahrzeuge in seiner Flotte zu einem definierten Stichtag die richtige technische Ausrüstung haben. Deshalb kann ich mir nur schwer vorstellen, dass hier der Bund eine Koordinierungsfunktion wahrnehmen soll. Dies kann am besten im Kreise derer organisiert werden, die die operative Verantwortung haben. Grundsätzlich hätte ich mir vorstellen können, dass die Industrie ein Konsortium bildet oder eine Beratungsfirma gründet und dann dort die Koordinierung platziert. Das setzt aber voraus, dass der Sektor sich einig ist, dass also zumindest die Fahrzeughersteller, die Komponentenhersteller und die Betreiber der Fahrzeuge an einem Strang ziehen; idealerweise auch die Großen und die Kleinen im Sektor. Jetzt ist allerdings die Zeit schon sehr weit fortgeschritten. Der Sektor wäre gut beraten, die jetzt vorliegenden Konzepte konstruktiv zu begleiten und mitzugestalten.

Digitalisierung ist theoretisch und meistens auch praktisch ein Weg, Prozesse zu beschleunigen. Wo steht das EBA in Bezug auf Digitalisierung und was wird in den nächsten Jahren noch kommen?

Wir begrüßen sehr, dass der Gesetzgeber im Zuge des Genehmigungsbeschleunigungsgesetzes für die Antragsstellung im Planfeststellungsverfahren digitale Portale vorgesehen hat, so dass Anträge jetzt digital statt analog eingereicht werden können. Das ist ein erster Schritt. Zu nennen ist auch das Antrags- und Beteiligungsportal für den gesamten Verkehr und den Offshore-Bereich. Dieses hat das BMDV vor zwei Jahren aufgesetzt. Dort werden für die Genehmigungsbehörden und von den Genehmigungsbehörden digitale Portale bereitgestellt, mit dem Ziel, letztendlich den gesamten Genehmigungsprozess digital abzubilden. Zurzeit können nur Vorhabenträger dieses Portal nutzen, das heißt, sie können online Unterlagen einreichen. In einem zweiten Schritt wird dieses digitale Portal auch für Träger öffentlicher Belange und für private Betroffene geöffnet. Dass diese dann ihre Einwendungen ebenfalls komplett digital einreichen können, erleichtert die Abläufe sehr, weil gerade in der Planfeststellung seitens der Einwender immer noch viel mit Papier gearbeitet wird. Digitalisierte Einwendungen können wir dann über Bearbeitungssoftware, die irgendwann auch über KI gesteuert sein wird, automatisieren. Damit können wir nicht nur schneller werden, sondern auch effizienter. Denn auch beim Eisenbahn-Bundesamt müssen wir mit einem immer schlankeren Personalkörper auskommen. Schlussendlich muss natürlich trotzdem noch jemand mit einem Gehirn im Kopf die Pläne und Einwendungen abwägen und die Entscheidung treffen. Aber dies kann man gut durch Software und digitale Formate unterstützen. 

Es wurde vom Bund auch ein BIM-Portal eingerichtet - wie wichtig ist das für Sie?

Aktuell ist BIM noch im Aufbau. Der große Charme von BIM liegt darin, dass bei einem Bauprojekt alle Beteiligten zu jedem Zeitpunkt den gleichen Informationsstand haben. Damit sinkt die Gefahr von Missverständnissen und damit auch die Zahl der Nachforderungen. Den größten Vorteil haben letztendlich die Betreiber, denn diesen steht durch BIM ein homogener Datensatz über die gesamte Lebenszeit eines Objektes zur Verfügung; auch für die Instandhaltung.

Sie haben für das EBA selbst Möglichkeiten der digitalen Antragsstellung und -abwicklung eingerichtet. Wie sind hier die Erfahrungen? 

Wir haben tatsächlich einige sogenannte eServices eingerichtet und werden dies weiter ausbauen. Eine unserer Erfahrungen ist, dass digitale Formate auch der Qualitätssicherung dienen. Wir erleben dies bei unseren eServices, die wir beispielsweise für wasserrechtliche Erlaubnisse oder Umweltgenehmigungen eingerichtet haben. Hier kann ein Antrag nur gestellt werden, wenn alle Unterlagen vollständig und in einer definierten Qualität vorliegen. Das führt dazu, dass wir viel weniger hin und her schreiben müssen, um fehlende Unterlagen anzufragen. Intern arbeiten wir schon seit vielen Jahren mit einem digitalen Workflow- und Management-System, inklusive eines digitalen Archivs. Diese Digitalisierung aller Arbeitsvorgänge im Hause hat uns in der Corona-Zeit in die Lage versetzt, auch in den Lockdowns komplett arbeitsfähig zu bleiben. Heute ermöglicht uns dieser hohe Digitalisierungsgrad, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in großem Umfang Homeoffice anzubieten, was natürlich die Attraktivität des EBA als Arbeitgeber erhöht.

Haben Sie genug Personal, auch angesichts weiter zunehmender Aufgabenvielfalt?

Wir haben in den letzten Jahren, auch durch Engagement des BMDV und wegen der Aufgaben beispielsweise für die Anhörung im Rahmen der Planfeststellung seit 2020, Personal hinzubekommen, so dass wir eigentlich ausreichend ausgestattet sind. Natürlich hakt es hier und da gelegentlich.  Aber wir haben es bisher immer vermocht, durch gute Abläufe und durch EDV-Unterstützung die Kolleginnen und Kollegen in die Lage zu versetzen, ihren Job gut zu machen. In einigen wenigen Bereichen fehlen Planstellen oder wir finden kein geeignetes Personal. Hier schlägt natürlich auch der Fachkräftemangel auf das EBA durch.

Zum Schluss immer eine private Frage: Wie entspannen Sie sich? 

Ich mache Ausdauersport: Wandern, Spazierengehen, Fahrradfahren. Außerdem bin ich seit vielen Jahren leidenschaftlicher Chorsänger. 


Das Interview aus Eisenbahntechnische Rundschau 1-2/24 führte Dagmar Rees.

Artikel Redaktion Eurailpress
Artikel Redaktion Eurailpress