Sören Claus und Claus Werner
Wir wollen Innovationen vorantreiben
Sören Claus und Claus Werner von DB RegioNetz sind die Köpfe hinter dem EcoTrain. Mit dem modularen Umbaukonzept für den VT 642 können im Nahverkehr sehr flexibel Traktionskombinationen aus Diesel, Elektroenergie aus Speichern und Bahnstrom umgesetzt werden. Die Züge fahren leiser und energiesparender.
Fährt der Eco-Train schon?
Claus Werner: Noch nicht. Im Dezember 2015 wurde mit den vorbereitenden Arbeiten begonnen. Gegenwärtig wird das Fahrzeug umgebaut, so dass mit der Integration der entwickelten Komponenten begonnen werden kann. Anschließend prüfen wir die Funktionalitäten des EcoTrains auf dem Testring in Velim. Im Anschluss daran erfolgen dann die zulassungsrelevanten Prüffahrten wie Fahr- und Bremsversuche und ETC.
Von dem Ecotrain wird schon lange gesprochen.
Werner: Begonnen haben wir mit dem Thema Hybrid schon in 2009. Zusammen mit MTU entwickelten wir damals einen Parallel-Hybrid als Erprobungsträger. Aufgrund der gesammelten Erkenntisse haben wir erkannt, dass ein Konzept entwickelt werden muss, welches in topographisch sehr unterschiedlichen Einsatzregionen und für verschiedene Baureihen Anwendung finden kann. Mit dem EcoTrain ist ein völlig neues und innovatives Konzept entstanden, nämlich eine modularisierte Technologieplattform auf diesel-elektrischer, serieller Hybridbasis. Damit bieten wir eine serienreife, nachhaltige und vor allem umweltfreundliche Plattform, die neben der energieeffizienten Antriebssteuerung auch alle wesentlichen Nebenverbraucher intelligent und in Abhängigkeit der Anforderungen aus Fahrplan, Topographie und Wetterlage steuert.
Sören Claus: An dieser modularen Plattform haben wir in den vergangenen Jahren gearbeitet und schließlich 2013 den Projektantrag zum EcoTrain gestellt. Voraus ging eine Voruntersuchung, bei der wir unterschiedlichste Hybridvarianten (parallel, seriell etc.) untersucht und bewertet haben. Wir haben uns schließlich für einen diesel-elektrischen seriellen Hybridantrieb entschieden und starteten in 2014 das Hauptprojekt. Heute ist die neue Antriebsanlage mit sämtlichen Komponenten des EcoTrains bereits entwickelt.
Ihre Lieferantenliste ist sehr umfangreich.
Werner: Unser Ziel ist, nicht nur ein modulares System, sondern auch bei den Lieferanten eine möglichst breite Basis zu haben. Wir haben deshalb die Technik sehr weit in die Einzelteile aufgebrochen und arbeiten jetzt beinahe für jede Schraube mit einem eigenen Lieferanten zusammen, oft mittelständischen Firmen aus Sachsen. Bei dem serienreifen Produkt war es uns wichtig, dass wir Lieferanten einbinden, die die Kernaufgabe beherrschen und uns auch sämtliche Nachweise liefern können, die wir für die Zulassung brauchen.
Der EcoTrain ist eine Entwicklungsleistung der DB RegioNetz Verkehrs GmbH in enger Zusammenarbeit mit DB Systemtechnik. Projektpartner aus Forschung und Entwicklung ist neben den Technischen Universitäten Dresden und Chemnitz das Fraunhofer Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI) in Dresden. Die Anforderungen und Schnittstellen wurden so spezifiziert, dass möglichst viele potentielle Lieferanten sich an der Ausschreibung beteiligen konnten. Zudem war es uns wichtig, einen hohen Modularisierungsgrad zu erreichen, um unterschiedlichste regionale Anforderungen erfüllen zu können.
Wird der Ecotrain im Linienverkehr eingesetzt?
Werner: Der EcoTrain soll im Linienverkehr bei der Erzgebirgsbahn fahren. Mit dem EcoTrain signalisieren wir dem Land Sachsen, dass die Deutsche Bahn Lösungen bietet, wie der Schienenpersonennahverkehr nachhaltig umweltfreundlich gestaltet werden kann.
Wieviel teuerer ist der EcoTrain-Zugkilometer für den Aufgabenträger?
Claus: Gegenüber einem Vertrag mit Neufahrzeugen können wir locker antreten. Wir werden sogar wesentlich kostengünstiger sein. Gegenüber dem Einsatz von konventionellen Bestandsfahrzeugen sind wir etwas teurer.
Werner: Die Ausschreibungen im SPNV lassen derzeit wenig Spielraum für innovative und umweltfreundliche Technologien. Häufig gewinnen Angebotsmodelle, die das günstigste Angebot offerieren. Dies lässt oft keine Spielräume für innovative Technologien zu. Ein Bonus-Malus System würde hier gegebenenfalls etwas Erleichterung bringen.
Was macht den EcoTrain umweltfreundlicher? Letztendlich wird der Triebwagen immer noch mit Diesel angetrieben.
Werner: Wir haben für den EcoTrain ein intelligentes Energiemanagementsystem entwickelt und mit dem Fahrerassistenzsystem FASSI verknüpft, das seit 2008 bei der Erzgebirgsbahn im Einsatz ist. In FASSI sind alle topographischen Daten, Fahrpläne, etc. hinterlegt. Durch die Verknüpfung des Fahrerassistenzsystems mit dem neu entwickelten Energieeffizienzmodul bringen wir Intelligenz in den Zug. Durch die Ortung, die hinterlegten Fahrplandaten und die ebenfalls hinterlegten topografischen Verhältnisse kann in Abhängigkeit der Position der optimale Energiesplit zwischen Diesel und E-Traktion ermittelt und automatisch eingestellt werden. Sämtliche Zustände einzelner Komponenten, beispielsweise der Traktionsbatterie und der Klimaanlage, sind dem System durch die Vernetzung der einzelnen Verbraucher im Gesamtsystem bekannt. Dies ermöglicht dem Energieeffizienzmodul eine Empfehlung auszusprechen, die beispielsweise so lauten könnte: „Reduziere die Leistung der Klimaanlage, damit wir komplett elektrisch über den Berg fahren können; bei der Talfahrt erhöhe die Leistung wieder“. Das System steuert also nicht nur den Antrieb, sondern auch die Nebenverbraucher, die je nach Energieanfall und -bedarf zu oder abgeschaltet werden können.
Dadurch, dass wir mit unserem innovativen System bewusst nicht in die Zugleittechnik eingreifen, sind wir unabhängig von Baureihen und Zugtypen. Das bedeutet, unser intelligentes Energiemanagementsystem kann problemlos mit anderen Zugleittechniken der Baureihen VT64x verknüpft werden. Außerdem können wir dadurch schneller auf Marktveränderungen reagieren, beispielsweise bei einem Preisverfall von Energiespeichern problemlos die Parameter – on demand – im Fahrzeug einspielen und ändern, so dass dann die Energieentnahme aus den Speichern intensiviert wird.
Der EcoTrain hat statt zwei nur noch eine Antriebseinheit. Warum?
Claus: Wir reduzieren die Dieselantriebsleistung von 550 kW, also zwei Antriebseinheiten, auf eine Antriebseinheit mit 390 kW. Der restliche Energiebedarf wird über Energiespeicher abgedeckt.
Manchmal wird befürchtet, dass wir aufgrund der geringeren Antriebsstärke die Fahrpläne nicht mehr einhalten können. Dem ist jedoch nicht so. Untersuchungen zur Fahrdynamik, die wir zusammen mit dem Fraunhofer IVI durchgeführt haben, zeigen, dass wir mit zwei Dieselmotoren viel überflüssiges Gewicht mit uns herumschleppen. Die zusätzliche Antriebsleistung wird jedoch nur bei Leistungsspitzen gebraucht. Das durchschnittlich benötigte Leistungsintegral in der Region liegt dagegen nur bei rund 230 kW. Die Leistungsspitzen kann man gut mit Energiespeichern abfangen.
Wie werden die Energiespeicher geladen?
Claus: Zum einen über Energierückgewinnung während der Talfahrten und beim Bremsen. Zum anderen über bestehende Zugsammelschienenstecker mit maximal 1000 V, entsprechend der UIC-Norm, sowie Nutzung des Landesnetzes. Außerdem ist beim modularen Aufbau des EcoTrains auch ein Pantograph geplant, mit dem sich die Energiespeicher auch über eventuell vorhandene Oberleitungen aufladen können und auf elektrifizierten Strecken der Zug direkt unter Oberleitung rein elektrisch fahren kann. Dann müsste der Diesel nur noch für die letzte Meile zugeschaltet werden – wenn überhaupt.
Das heißt, der EcoTrain kann über lange Strecken leise fahren?
Werner: Der diesel-elektrische Antrieb in Kombination mit der Koppelung von Energiemanagement- und Fahrerassistenzsystem ermöglicht es uns, gezielt vorzugeben, dass in bestimmten Situationen nur elektrisch gefahren werden soll, wenn der Zug beispielsweise durch ein Wohngebiet oder in einen Bahnhof fährt. Solche Vorgaben können beliebig in das System eingegeben werden – das Energiemanagementsystem optimiert dann über die ganze Strecke hinweg den Energieverbrauch auf diese Ereignisse hin.
Wie hoch ist die Energieeinsparung?
Claus: Bis zu 35 %. Unter anderem wurde für den Ecotrain ein komplett neues Bremssteuersteuersystem entwickelt, welches einen großen Beitrag in Bezug auf die Nutzung des maximal möglichen Anteils der elektrodynamischen Bremse leistet Dies ist natürlich nur ein Teilbeitrag zur Energieeffizienz im Gesamtsystem. Wenn wir von Energieeinsparung sprechen, müssen wir uns allerdings immer bewusst sein, dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen und Messverfahren gibt. Man kann die Dieseleinsparungen unter Wohlfühlkonditionen messen, wenn alle Bedingungen optimal sind, beispielsweise kilometerlange Bremswege möglich sind, bei denen sehr viel Energie rückgewonnen wird. Wir haben uns jedoch für den Härtetest entschieden und die Simulationen unter realen Fahrplanbedingungen durchgeführt, mit schnellen kurzen Beschleunigungen und schnellem Abbremsen, wie es im Nahverkehr Realität ist: Dann fallen die Einsparungen natürlich geringer als unter optimalen Bedingungen aus. Unter Regelbedingungen rechnen wir mit 21 bis 24 % Dieseleinsparungen, plus rund 10 % Einsparungen bei Bereitstellung und der Heizung/Kühlung im Stillstand.
Werner: Diese realistische Simulation ist uns ganz wichtig. Was bringt es uns, wenn wir hohe Dieseleinsparungen versprechen, die wir im realen Einsatz nicht einlösen können? Das wäre fatal.
Wir haben den Ecotrain nicht entwickelt, weil uns langweilig war, sondern weil wir den Konzern nach vorne bringen wollen. Wir wollen Innovationen vorantreiben, die den Unternehmen des Konzerns zugute kommen. Der Ecotrain erfüllt die Vorgaben aus DB2020: umweltfreundlich, leise und vor allem CO2 reduziert.
Der hohe Modularitätsgrad erlaubt es uns, verschiedene Traktionsweisen zu verbinden. Letztlich ist es uns gelungen, ein Dreisystemfahrzeug zu entwickeln. Das heißt: wir können Traktionsenergie aus dem Dieselantrieb, dem Energiespeicher und in einem weiteren Schritt auch über einen Pantographen in Verbindung mit der Oberleitung bereitstellen. Dies erlaubt uns maximale Flexibilität beim Einsatz in unterschiedlichen Regionen und Anforderungsprofilen.
Ist ein EcoTrain auch im Güterverkehr möglich?
Claus: Die Diskussion um die Elektrifizierung von Strecken beginnt immer dann, wenn man viel Leistung braucht. Im Triebwagenbereich können wir auf jeden Fall mithalten. Durch die Add-Ons aus den Energiespeichern erreichen wir bis zu 600 kW. Wenn es wie im Güterwagenbereich jedoch darum geht, mehrere 1000 t zu ziehen, sind wir noch nicht soweit.
Heute spricht alles von Digitalisierung und Bahn 4.0. Umweltfreundlichkeit scheint nicht das Gebot der Stunde zu sein. Kommen Sie mit dem EcoTrain zu spät?
Werner: Der EcoTrain ist der erste Schritt zur Digitalisierung. Indem wir das Energiemanagementsystem mit dem Fahrerassistenzsystem verbinden und sämtliche Verbraucher miteinander vernetzen, haben wir die Grundlagen für ein Internet der Dinge auf dem Triebwagen geschaffen. Das geht soweit, dass die Batterie heute schon der Werkstatt melden kann, wenn eine Zelle kaputt ist. Das System funktioniert. Uns ist ein großer Wurf gelungen: Mit der modularen EcoTrain-Technologieplattform können wir ein Maximum an Energieeffizienz aus bestehenden Fahrzeugen herausholen.
(Das Gespräch führte Dagmar Rees.)
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