Simon Holmes: 5G - Von Bahnexperten entwickelt
Bahnen können sich ihr eigenes 5G-Netz aufbauen. Simon Holmes, Managing Director von Evo-Rail, beschreibt Technik und Einführungsstrategien.
Was ist das Besondere an der 5G-Technologie von Evo-Rail?
Vor fünf Jahren begann die FirstGroup mit der Universität Bristol zusammenzuarbeiten, um eine 5G-Technologie für den Schienenverkehr zu erforschen und zu entwickeln, mit der die mangelnde Mobilfunkabdeckung unserer Bahnen behoben und die ständig wachsende Nachfrage nach Konnektivität erfüllt werden kann. Evo-Rail ist als eine Ausgründung der Universität Bristol entstanden und heute ein Geschäftsbereich der FirstGroup.
Die Technologie von Evo-Rail ist die erste 5G-Lösung für den Schienenverkehr, die von Bahnexperten für die Bahn entwickelt wurde. Die Funkeinheiten sind so konzipiert, dass sie die Gleise im Gegensatz zu herkömmlichen Lösungen von Mobilfunkbetreibern mit integrierter Antenne abdecken und durch Strahlenbündelung und deren Rückverfolgung den optimalen Dienst für den Zug während der Fahrt bieten. Die Technologie, die für die Bereitstellung des Dienstes verwendet wird, ist ebenfalls besonders: Evo-Rail hat nicht nur eine eigenständige Lösung für die Funkmasten entwickelt, die innerhalb weniger Stunden sicher aufgestellt werden können, sondern auch Verbundmasten, die sicher an vorhandenen Stützen montiert werden können. Dies reduziert die Kosten und beschleunigt die Bereitstellung deutlich. Und natürlich haben wir es hier mit dem weltweit ersten Multi-Gigabit-Kommunikationsdienst zu tun, der speziell für die Bahn entwickelt wurde.
Was sind die möglichen Anwendungen der Evo-Rail Technologie in Bezug auf die Fahrgäste?
Die Lösung von Evo-Rail kann eine Bahn schaff en, die den Bedürfnissen des modernen Fahrgastes gerecht wird, indem sie die Konnektivität verbessert und das Kundenerlebnis steigert. Durch die Installation von Rail-5G kommen die Fahrgäste in den Genuss einer noch nie dagewesenen Konnektivität, mit einer ähnlichen Geschwindigkeit, wie wir sie von zu Hause oder am Arbeitsplatz gewohnt sind. Die Lösung von Evo-Rail ermöglicht den Fahrgästen den Zugang zu mehr als 1 GB kontinuierlicher Konnektivität, so dass sie Aktivitäten wie Videokonferenzen, 3D-Spiele, Live-Sport, Streaming und superschnelle Downloads von jedem Gerät aus genießen können.
Gerade die jüngere Generation weiß die Vorzüge einer durchgängig hohen Bandbreite während Zugreisen deutlich zu schätzen. Das hat eine kürzlich veröffentlichte Studie von Ipsos deutlich gezeigt. Die Mehrheit der jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 35 Jahren würde eher mit dem Zug als mit einem anderen Verkehrsmittel fahren, wenn die Bahngesellschaften schnelles und zuverlässiges W-Lan an Bord anbieten würde. 68 % der Befragten im Alter von 16 bis 24 Jahren und 51 % der 25- bis 34-Jährigen gaben an, dass sie eher die Bahn als andere Verkehrsmittel wählen würden, wenn sie Zugang zu schnellem, zuverlässigem W-Lan an Bord hätten. Bei der Frage nach der allgemeinen Bedeutung von W-Lan an Bord wird das Bild noch deutlicher: 68 % der Studienteilnehmer betonten die Bedeutung der Konnektivität an Bord. Die Werte in allen Altersgruppen liegen über 71 %, mit Ausnahme der 55 – 75-Jährigen, die nur zu 52 % zustimmen.
Gibt es auch Vorteile für die Betreiber, über den Fahrgastnutzen hinaus?
Rail-5G wird nicht nur das Fahrgasterlebnis entscheidend verbessern, sondern ermöglicht auch eine erschwingliche und sichere Datenkommunikation zwischen Zug und Infrastruktur, Betriebszentralen und den Zentralen zum Fahrzeug-Monitoring. Die verbesserte Konnektivität ermöglicht das schnellere Herunterladen von Daten aus fahrzeugseitigen Systemen und eine höhere Sicherheit für Management-Berichtssysteme im Zug. Rail-5G bietet damit auch die Möglichkeit, das derzeitige System der Instandhaltung zu verbessern. Dank besserer Konnektivität und erweiterter Datenkapazität werden die Systeme in der Lage sein, notwendige Wartungsarbeiten vorherzusagen.
Kann das System in bereits in Betrieb befindliche Züge eingebaut werden?
Rail-5G ist so konzipiert, dass es auf der bestehenden Infrastruktur funktioniert. Die Lösung ist sehr einfach in einen Zug integrierbar: Sie erfordert die Anbringung einer kleinen Antenne auf dem Dach des Zuges, die dann an das bestehende W-Lan-System im Zug angeschlossen wird. Für die Stromversorgung benötigt das System eine 20 VGleichstromverbindung. Jeder Zug benötigt letztlich zwei Funkeinheiten, jeweils an den Zugenden montiert.
Beide Funkeinheiten sind in der Lage, zwei drahtlose Verbindungen zur Strecke zu unterstützen, so dass wir maximal vier Verbindungen haben. Eines der wichtigsten Konstruktionsprinzipien von Rail-5G besteht darin, stets zwei oder drei Verbindungen zur Strecke aufrechtzuerhalten, um so die Abdeckung zu verbessern, schwarze Flecken zu beseitigen und die Bandbreite zu maximieren. Die beiden Funkeinheiten werden direkt an die bordseitige W-Lan-Lösung angeschlossen. Die Länge des Zuges ist dabei unerheblich.
Erzählen Sie mir über Ihre streckenseitige Lösung. Haben Sie bereits Sendemasten in Betrieb?
Rail-5G ist eine End-to-End-Lösung, die überall auf der Welt eingesetzt werden kann, entweder unter Nutzung vorhandener Infrastruktur oder durch Errichtung von neuen Masten an der Strecke. Es ist möglich, verschiedene Arten von Infrastruktur für die Montage der Funkeinheiten zu verwenden, z. B. auch ein bestehendes 5GNetz. Unserer Erfahrung nach befinden sich diese Masten jedoch oft weiter vom Gleis entfernt als es optimal sein sollte. Dies liegt daran, dass herkömmliche Mobilfunkmasten nicht dafür ausgelegt sind, einen dedizierten Punkt-zu-Punkt-Hochgeschwindigkeitsdienst für jeden einzelnen vorbeifahrenden Zug bereitzustellen, sondern stattdessen eine breitere Abdeckung mit niedrigerer Geschwindigkeit für den Zug und die umliegenden Gebiete bieten. Die Telekommunikationsanbieter und ihre Netze entlang der Schienen sind die Schwachstelle, die wir mit unserem ganzheitlichen Ansatz angehen.
Wie können die Sendemasten an Strecken errichtet werden?
Um den schnellen Einsatz von streckenseitigen Funkeinheiten zu erleichtern, hat Evo-Rail spezielle, freitragende Masten entwickelt, die alle aktiven und passiven Komponenten, einschließlich Glasfaseranschluss und Stromverteilung, enthalten. Diese werden ferngesteuert zusammengebaut und leicht zum gewünschten Installationsort transportiert, wo sie mit neuen Rammtechniken aufgestellt werden können, bevor der endgültige Strom- und Glasfaseranschluss erfolgt und das mmWave-Funkgerät befestigt wird. Dies ermöglicht die vollständige Aufstellung eines Mastes am Gleis in weniger als zwei Stunden, was die Arbeitszeiten außerhalb der Geschäftszeiten und die Zeiten der Streckensperrung reduziert. Durch die freitragende Konstruktion können diese Masten sicher vom Gleis weg abgesenkt werden, was einen einfachen Zugang zu den mmWave-Einheiten für Wartungs- und Reparaturzwecke ermöglicht und den Zeitaufwand für Arbeiten am Gleis reduziert.
Wie funktioniert die Stromversorgung in abgelegenen Regionen, die gegebenenfalls nicht elektrifiziert sind?
Der sehr niedrige Energiebedarf der streckenseitigen Rail-5G-Funkgeräte ermöglicht es, dass diese Geräte ausschließlich über Solar- und Windtechnologien betrieben werden können, die direkt am Mast installiert sind. Ein Prototyp für diese Lösung wurde bereits gebaut und unter verschiedenen Wetterbedingungen getestet. Ziel ist es, dass in Zukunft nicht nur durchgängig Geschwindigkeiten von über 1 Gbit/s in Zügen möglich sind, sondern auch die Stromversorgung ganz oder zumindest teilweise autark aus erneuerbaren Energien erfolgen kann.
Wo wird das System bereits eingesetzt bzw. welche Aufträge wurden bereits erteilt?
Im Vereinigten Königreich wurde die 5GLösung von Evo-Rail auf der Island Line auf der Isle of Wight getestet. Nach einem groß angelegten Pilotprojekt hat sich unsere Technologie als zuverlässig erwiesen und stellt damit eine dauerhafte und nachhaltige Lösung für die Bahn dar. Eine vollständige kommerzielle Einführung wird aktuell auf einem 30 km langen Abschnitt der South Western Rail (SWR)-Strecke nach London vorangetrieben. Hier wird ein spezieller Streckendienst mit hoher Bandbreite für die SWR-Flotte und ihre Kunden bereitgestellt. Die Internetverbindung der Züge ist deutlich besser als die kombinierte Bandbreite der lokalen Mobilfunkbetreiber. Ein weiteres Pilotprojekt wird in Spanien verwirklicht. Evo-Rail führt derzeit Gespräche mit Interessengruppen in ganz Europa und den USA und wird in Kürze weitere Projekte ankündigen können.
Ist der deutsche Markt für Evo-Rail von Interesse? Können Sie etwas über bevorstehende Aufträge sagen?
Der deutsche Markt steht, wie viele andere Märkte in Europa, vor einer großen Herausforderung in Bezug auf die Konnektivität. Bahnnutzer wollen vernetzt sein, sie wollen Internet-Hochgeschwindigkeitsverbindungen während der Zugfahrt und diese Nachfrage wird weiter wachsen. Während Mobilfunkbetreiber in der Lage sind, eine partielle Abdeckung mit variabler Datenleistung zu liefern, kann die Lösung von Evo-Rail eine dedizierte Abdeckung und eine hohe Bandbreite liefern. Evo-Rail befindet sich derzeit in Gesprächen mit Interessenvertretern über ein Projekt in Deutschland. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Bahn eines der nachhaltigsten Verkehrsmittel ist. Experten sagen seit Langem, dass eine Verlagerung von umweltschädlicheren Verkehrsträgern auf die Bahn notwendig ist, um die Kohlendioxidemissionen zu reduzieren und letztendlich eine Netto-Nullbilanz zu erreichen. Deshalb müssen wir alles in unserer Macht stehende tun, um mehr Fahrgäste in unsere Züge und weg vom Auto und Flugzeug zu holen. Durchgängige Konnektivität bei gleichzeitig hoher Bandbreite ist hier eine gute und erschwingliche Investition. Unter bestimmten Bedingungen könnten die Zuggesellschaften unsere Infrastruktur sogar kostenfrei erhalten. Wenn wir einen Teil der überschüssigen Bandbreite selbst vermarkten dürfen oder an den Einnahmen teilhaben, kann sich das für uns bei langen Laufzeiten der Verträge rechnen. Wir sind sehr offen für Gespräche und Kooperationen in diesem Bereich.
Das Interview aus der Eisenbahntechnischen Rundschau 4/2022 führte Christoph Müller.