Interviews

Prof.Dr. Ronald Pörner

"Wie die Bahnindustrie vereint Compliance lebt."


Das Thema Compliance hat Einzug in die Managementetagen von Industrie und Wirtschaft gehalten. Der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) ist federführend, in der Branche ein einheitliches Verständnis rund um dieses Thema zu schaffen. Im Interview, das Prof.Dr.  Ronald Pörner der ETR im März 2012 gab, äußerte er sich über Wesen und Wirkung einer branchenweiten Unternehmensethik.

 

Herr Professor Pörner, seit einigen Jahren beschäftigt sich der Verband der Bahnindustrie in Deutschland mit dem Thema Compliance in der Bahnindustrie. Wie kam es dazu?

In der Bahnindustrie wuchs zusehends das Bedürfnis nach einer einheitlichen, branchenweit anerkannten Fassung einer Compliance-Richtlinie So ist das Thema Compliance im VDB in den vergangenen Jahren wesentlicher Bestandteil der Verbandsarbeit geworden. Das vereinfacht die Zusammenarbeit in der Branche deutlich.

 

Was versteht man denn genau unter Compliance in der Industrie?

Der Begriff bezeichnet zunächst die Einhaltung von einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und behördlichen Vorgaben, Unternehmensgrundsätzen, interner Kodizes und Richtlinien. Compliance ist die Einhaltung der Prinzipien einer guten Unternehmensführung sowie allgemein akzeptierter ethischer Grundsätze und Normen durch ein Unternehmen. Darüber hinaus umfasst der Begriff Compliance auch ein Organisationskonzept, das unternehmensethisches Handeln praktisch umsetzt. Es hängt aber schlussendlich von jedem Unternehmen selbst ab, wie viel Compliance es braucht und sinnvoll ist.

 

Besteht in der Bahnindustrie ein besonderer Bedarf an Compliance?

Die Notwendigkeit besteht unbestritten in jeder Branche und somit auch in der Bahnindustrie. Dies zeigen nicht zuletzt die neueren gesetzgeberischen Aktivitäten wie beispielsweise der UK Bribary Act, der scharfe Sanktionen für Compliance-Verstöße vorsieht. 

 

Warum meinen Sie, dass das Thema überhaupt eine Verbandsaufgabe ist?

Grundsätzlich ist und bleibt die Einrichtung eines Compliance-Systems eine individuelle Aufgabe, der sich jedes Unternehmen eigenständig stellen muss. Das gilt jedoch gerade nicht für die Schaffung von Rahmenbedingungen. Hier sind meiner Meinung nach besonders Wirtschaftsverbände gefordert, Branchenstandards zu etablieren und die Mitgliedsunternehmen bei der Einführung von Compliance-Systemen zu unterstützen. 

 

Was waren die Auslöser bei Ihnen im Verband?

Ein ethisch fundiertes Handeln von Unternehmen gewinnt in allen Branchen immer mehr an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Bei den Unternehmen der Bahnindustrie ist dies schon seit langer Zeit bekannt und führt zu einem, oft intuitiv völlig richtigem Verhalten. So kam es, dass immer mehr Unternehmen sich in den vergangenen Jahren zu einem formaleren Vorgehen veranlasst sahen. Es kam zu einer Vielzahl verschiedener Unternehmenskodizes. Die Folge war, dass die Unternehmen mit einer Fülle unterschiedlicher Voraussetzungen zur Umsetzung der gesellschaftlichen Verantwortung im Geschäftsverkehr konfrontiert waren. Gerade aus mittelständischer Sicht war die Uneinheitlichkeit der Compliance-Richtlinien eine schwierige Situation. Es stellte sich die Frage: Ist Compliance eine Maßnahme zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens oder nur ein neuer Kostentreiber. Die Schaffung eines umfassenden und einheitlichen Compliance-Paketes durch den VDB erwies sich hier als Königsweg: Es ermöglicht die praktische, verbindliche und nachvollziehbare Einführung unternehmensethischer Grundsätze ohne Unternehmen finanziell zusätzlich zu stark zu belasten.

 

Was beinhaltet das Compliance-Paket des VDB?

Das Compliance-Paket des VDB besteht aus drei Hauptbestandteilen, nämlich dem VDBCode of Conduct, dem sogenannten VDBCoC, den dazugehörigen Begriffserklärungen und einer Hilfe zur praktischen Umsetzung im unternehmerischen Alltag. Zudem umfasst das Paket einige ergänzende und begleitende Maßnahmen wie regelmäßige Compliance-Workshops oder aber die verbandsübergreifende Zusammenarbeit zum Thema Compliance.

 

Wie ist der Compliance-Pakt entstanden?

Der VDB hat seinen CoC in den Jahren 2008/09 entwickelt. Dabei hat sich der Verband an Vorlagen verwandter Branchen und Unternehmen orientiert, z. B. am CoC des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektroindustrie sowie am noch nicht verabschiedeten Entwurf der „Gemeinsamen Leitlinie der Deutschen Bahn AG und des VDB zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs“. Dabei wurde auch der Entwurf der ISO 26000 berücksichtigt. So können Unternehmen Bezüge zwischen CoC und ISO 26000 herstellen. Im Juli 2009 haben die Mitglieder des Präsidiums des VDB den ausgearbeiteten Verhaltenskodex einstimmig verabschiedet. Er wurde im September 2009 auf der Mitgliederversammlung den Unternehmen vorgestellt, die die Einführung des Compliance-Systems sehr begrüßten. Seitdem haben die Mitgliedsunternehmen der Bahnindustrie in Deutschland die Möglichkeit, einem branchenweit gültigen Code of Conduct durch Unterzeichnung der Selbstverpflichtung beizutreten.

 

Bleibt Compliance dabei nicht nur ein theoretisches Konstrukt?

Compliance muss in Unternehmen gelebt werden, sonst bleibt es ein Papiertiger. Alle Mitarbeiter eines Unternehmens, insbesondere die Führungsebene mit ihrer Vorbildfunktion, sorgen dafür, dass sich eine ethischen Grundsätzen folgende Unternehmenskultur entwickelt. Hierfür sind jedoch Leitfäden oder Code of Conducts wichtig, um das gemeinsame Verständnis zu fördern. Ein Unternehmen wird nicht umhin kommen, einen Pflichtenkanon zu erarbeiten, der Vorschriften formuliert, um verwerfliches oder riskantes Verhalten zu vermeiden. Für solche sensiblen Handlungsfelder hat der VDB eine Hilfestellung entwickelt. Diee Umsetzungshilfe erläutert außerdem, warum hier für Unternehmen ein Schwerpunkt verantwortungsvollen Handelns liegen sollte. Ein Kommentar erleichtert das Verständnis und den Umgang mit der Compliance-Richtlinie des VDB. Er erklärt alle wesentlichen Begriffe des Rechtstextes in einer verständlichen Sprache und anhand von Fallbeispielen, so dass auch kleinere Unternehmen ohne eigene  Rechtsabteilung mit dem CoC arbeiten können. All das ist aber kein Selbstzweck, denn in der Praxis bildet der CoC oft die Grundlage für einen Vertragsschluss.

 

Wie wurde das Projekt bei Ihren Mitgliedsunternehmen angenommen? 

Die Resonanz ist sehr gut. Der VDB-CoC wurde nicht nur von kleineren und mittelständischen Unternehmen unterzeichnet bzw. anerkannt, sondern auch von großen Systemhäusern wie zum Beispiel Siemens oder Bombardier. Eine aktuelle Liste, getrennt nach dem Kriterium der Anerkennung und Gleichwertigkeit, haben wir im Internet veröffentlicht. Der Erfolg des Projekts beruht dabei nicht zuletzt auch darauf, dass der VDB seinen Mitgliedern beim Aufbau unternehmenseigener Compliance-Organisationen und als Mediator zur Verfügung steht. Der Kodex ist als Verbandsvorlage zur Selbstverpflichtung ausgestaltet und gilt damit nicht per se für alle Mitgliedsunternehmen des Verbandes. Sie haben vielmehr die Möglichkeit sich einseitig durch Unterzeichnung des VDB-CoC auf dessen Einhaltung zu verpflichten. Die Vertragsverhandlungen werden so erheblich erleichtert.

 

Warum akzeptieren Sie auch die Gleichwertigkeitserklärungen?

Uns geht es nicht darum, dass sämtliche Mitgliedsunternehmen unser Konzept eins zu eins übernehmen. Vielmehr war uns ein gemeinsames Verständnis wichtig, um auf das Thema und seine Relevanz insgesamt aufmerksam zu machen. Wenn Unternehmen zuvor schon eigene Projekte im Haus hatten oder aber aufgrund unserer Aktivitäten damit begonnen haben, unterstützen wir das.

 

Führt die Einführung eines Compliance-Standards nicht zu einem Übermaß an Bürokratie?

Unbestritten: Die Einführung eines Compliance-Systems ist für ein Unternehmen ein zusätzlicher Aufwand, insbesondere juristisch aber auch organisatorisch, der je nach Unternehmensgröße und -komplexität sehr variieren kann. Dieser Aufwand lohnt sich aber, die Vorteile rechtfertigen ihn. Allerdings sollte die Einführung von Compliance in Unternehmen auch ohne Überbürokratisierung möglich sein. Lassen Sie es mich so ausdrücken: So viel Aufwand wie nötig, aber auch so wenig wie rechtlich und unternehmensspezifisch vertretbar. Dies führt dann letztlich zu einer hohen Akzeptanz bei den Mitarbeitern der Unternehmen auf allen Ebenen. 

 

Ist das Thema nicht eine kaum zu bewältigende Aufgabe für einen Verband wie Ihren, mit so heterogenen Mitgliedsunternehmen?

Das Thema ist für uns natürlich eine große Herausforderung. Aber gerade weil wir große Systemhäuser auf der einen Seite und kleine und mittelständische Unternehmen auf der anderen Seite vertreten, ist es umso wichtiger, ein gemeinsames Grundverständnis als Fundament zu haben. Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen haben einen hohen Bedarf an standardisierten Compliance-Lösungen. Der VDB-CoC hat sich hier bewährt. Das zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) den VDB-CoC als Referenz-Kodex gelistet hat. Er deckt die wesentlichen Compliance-Themen ab und wird in der Praxis auch von großen, international tätigen Unternehmen akzeptiert.

 

Leben Sie das Thema auch im Verband selbst?

Compliance ist für uns auch ein verbandsinternes Thema, schließlich hat sich der VDB durch die Unterzeichnung des VDB-CoC auch selbst auf dessen Einhaltung verpflichtet. 

 

Und wie gestalten Sie das Thema in Ihrem Haus?

Wir haben bereits im Dezember 2010 eine verbandsinterne Compliance-Leitlinie für unsere Mitarbeiter entwickelt, die den Umgang mit dem Thema Compliance im Berufsalltag unterstützt. Die Mitarbeiter wurden in einem internen Seminar geschult und haben im Verband einen festen Ansprechpartner.

 

Denken Sie, dass auch weitere Verbände zum Thema Compliance aktiv werden sollten?

Unbedingt. Immerhin hat der VDB durch sein Engagement gezeigt, dass der aktive Umgang mit dem Thema Compliance im Verband eine Erfolgsgeschichte ist, die hoffentlich nicht mehr lange nur eine Ausnahme bildet. 

 

Wie sieht die Zukunft des Themas Compliance beim Verband der Bahnindustrie aus?

Wir bereiten gerade intensiv den VDB-Compliance-Workshop 2012 vor, der im Frühjahr in Berlin stattfinden soll. Weiterhin bemühen wir uns, dass mit wichtigen Spielern des gesamten Eisenbahnsektors ein einheitliches Compliance-Verständnis vorangetrieben wird. Insbesondere wollen wir in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit den Kunden der Bahnindustrie weiter ausbauen. Des Weiteren sind in diesem Bereich gemeinsame Aktivitäten mit unserem europäischen Bahnindustrieverband geplant.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

(Hinweis: Der Code of Conduct des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e. V. kann auf dessen Homepage unter www.bahnindustrie.info kostenlos heruntergeladen werden.)

 

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 01+02/2012
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 01+02/2012