Michel Kunz
Technologie statt Beton
Michel Kunz ist Leiter Anlagen und Technologie bei SBB Infrastruktur. Er sieht die Digitalisierung als Chance, die Kapazität des Netzes zu erhöhen, ohne in neue Gleise investieren zu müssen. Die SBB verfolgt eine konzernweite Digitalisierungsstrategie, die auch die einzelnen Mitarbeiter mitnimmt.
Digitalisierung ist ein weites Feld. Wie entscheidet die SBB, in welchen Bereichen wann welche Digitalisierungsprojekte angegangen und umgesetzt werden?
Die SBB sieht die Chancen primär in vier Feldern und investiert in entsprechende Digitalisierungsprojekte. Erstens wollen wir Vorteile für unsere Kunden schaffen und die Kundeninteraktion verbessern, beispielsweise durch digitale Reisebegleiter und individualisierte Störungsinformationen. Zweitens wollen wir das Kapazitätsmanagement optimieren. Unsere Devise lautet dabei „Technologie statt schwere Infrastruktur“. Hierzu haben wir das breit angelegte Branchenprogramm SmartRail 4.0 entwickelt. Drittens setzen wir Digitalisierung ein für Effizienzsteigerung, also Prozessoptimierungen und effizientere Zusammenarbeit. Bei Work Smart geht es um orts- und zeitunabhängige Arbeitsformen. Diese initiieren wir gemeinsam mit anderen Schweizer Unternehmen, auch, um die Hauptverkehrszeiten zu entlasten. Und viertens entwickeln wir neue Geschäftsmodelle, unter anderem in Kooperation mit Partnern. So bieten wir beispielsweise in einem Joint Venture zwischen SBB und Post, SwissSign AG, eine einheitliche digitale Identität an.
Welche digitalen Maßnahmen setzen Sie zur Verbesserung des Kundenkontaktes ein?
Unsere App SBB Mobile wurde seit Lancierung über 6 Mio. mal heruntergeladen. Zusammen mit der Webseite sbb.ch gehört sie zu den beliebtesten und meistgenutzten digitalen Kontaktpunkten der Schweiz. Hier testen wir direkt im Kontakt mit den Kunden (Previews) neue Tools wie eine sprachgesteuerte Fahrplanauskunft. Auf dem Handy und beim Fernsehen kennt man diese Voice-Assistenten schon lange. Nun versteht auch die SBB Mobile Preview App Sprachbefehle, selbstverständlich auch in Mundart.
Was beinhaltet SmartRail 4.0?
Bei SmartRail 4.0 nutzt die SBB zusammen mit der Bahnbranche und der Industrie die Digitalisierung und das Potenzial neuer Technologien, um die Kapazität und die Sicherheit schrittweise weiter zu erhöhen, die Bahninfrastruktur effizienter zu nutzen, Kosten zu sparen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn längerfristig zu erhalten. Das Programm ist bis 2019 in der Projektierungsphase.Was macht Schienen smarter?Ein Thema, das die SBB im Rahmen von SmartRail 4.0 vorantreibt, ist ein neues digitales Stellwerk. Unser Ziel ist ein reines „ETCS cab signalling“ Stellwerk, also eine Zusammenfassung von Stellwerk und Radio Block Center in einer Funktion. Dabei leiten uns folgende Kerngedanken: Das neue digitale Stellwerk wird über eine geometrische Sicherheitslogik verfügen und generisch einsetzbar sein. Die Stellwerkprojektierung soll einfach sein, nur die Topologie muss gesondert erfasst werden. Betriebliche Funktionen werden in das übergeordnete Traffic Management System (TMS) verlagert. Das neue digitale Stellwerk soll alle lokalisierbaren Gefahrenobjekte im Gleis wie Arbeitende im Gleisbereich durch Standardschnittstellen zu mobiler Lokalisierung erkennen. Wichtig ist uns die industrielle und schnelle Migration großer Netzsegmente in einem Schritt durch parallelen Anschluss der alten und neuen Innenanlagen an vorhandene Außenanlagen.
Ich habe gelesen, dass die SBB über Digitalisierung eine 30 % höhere Kapazität im Netz erreichen will. Bisher hatte ich immer wesentlich geringere Kapazitätssteigerungs-Potentiale durch Digitalisierung genannt bekommen. Wie wollen Sie die genannten 30 % erreichen?
Mit neuer digitaler Technologie wie dem Digitalen Stellwerk, Lokalisierung und einem neuen Traffic Management System (TMS) wird die Zugfolgezeit verkürzt. Nach aktueller Einschätzung ist dadurch bei einer geeigneten Umstellung des Gesamtfahrplans eine bis zu 30 % höhere Trassenkapazität erreichbar. Ziel ist es,...
<link file:24063 _blank download interview_kunz>Hier können Sie das vollständige Interview als pdf herunterladen.
(Das Gespräch führte Dagmar Rees.)