Interviews

Michael Clausecker

"Wir werden unser Image in Deutschland klar verbessern"


Michael Clausecker ist zurück in der Industrie. Der neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Bombardier Transportation GmbH bringt seine Erfahrungen als ehemaliger UNIFE-Generalsekretär nach Berlin. ETR sprach mit ihm über neue Aufgaben, neue Züge und neue Zulassungsrichtlinien.

 

Herr Clausecker, Sie sind seit März 2012 der neue Vorsitzende der Geschäftsführung der Bombardier Deutschland GmbH. Was umfasst diese Position?

Ich wirke gleichermaßen nach innen und nach außen. Nach innen bedeutet für mich, dass ich mich gemeinsam mit meinen Kollegen in der Geschäftsführung um die Entwicklung unserer 10 Standorte in Deutschland kümmere. Nach außen hin bedeutet diese Position, gegenüber den Kunden in Deutschland der erste Mann zu sein. Unser operatives Geschäft findet in Divisionen statt, man kann sich das wie eine Matrix vorstellen. Meine Rolle ist, unsere Organisation auf der einen Seite zum Kunden hin zu übersetzen und auf der anderen Seite die Bedürfnisse des Kunden nach innen in die Organisation hineinzutragen.

 

Von Brüssel nach Berlin: Was waren ihre Beweggründe, von Ihrer Position als Generalsekretär der UNIFE in die Geschäftsführung eines Herstellers von Schienenfahrzeugen zu wechseln?

Ich war zehn Jahre lang in der Industrie tätig, auch in der Eisenbahnindustrie, und danach weitere zehn Jahre in der Verbandsarbeit aktiv. Ich fand die Arbeit in den Verbänden VDB und UNIFE ausgesprochen attraktiv. Dennoch war für mich eine Rückkehr in die Industrie immer Teil meiner Lebensplanung.

 

Bringen Sie Erfahrungen aus dieser Verbandsarbeit mit, die Sie im Tagesgeschäft in der Industrie weiterbringen, also eine andere Sicht der Dinge?

Nehmen Sie das Schlüsselthema Zulassung. Wir alle lernen zurzeit, dass unser Geschäft nicht alleine vom Kunden beeinflusst wird, sondern auch von den Rahmenbedingungen für dieses Geschäft. Und dass es wichtig und für den Erfolg entscheidend ist, dass man diese Rahmenbedingungen kennt und mitgestaltet. Genau das gehört zu meinen Aufgaben.

 

Deutschland ist in dieser Hinsicht kein einfacher Markt. Stichwort Talent. Gibt es Lösungsansätze, wie dieses „Problem“ letztlich doch zu einem Erfolg wird?

Der Talent ist ein Klasse-Fahrzeug. Er ist seit Dezember 2011 in Nürnberg im Einsatz und bewährt sich dort hervorragend. Er wird von den Fahrgästen gut angenommen und er läuft zuverlässig. Es gibt kein Fahrzeug, das die Anforderungen von Behinderten oder älteren Menschen besser umsetzt als der neue Talent. Wir haben bis Mitte März insgesamt 53 dieser Fahrzeuge abgenommen bekommen und sind sukzessive in der Auslieferung.

 

Was haben Sie aus den Schwierigkeiten bei der Zulassung der Talent-Triebwagenzüge gelernt?

Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Bahn ein überzeugendes Konzept für den Talent entwickelt. Das Plattformfahrzeug kann für die verschiedenen Regionen in Deutschland abgewandelt werden. Was wir allerdings gemeinsam unterschätzt haben, ist die Komplexität, die in einer solchen Herangehensweise liegt. Komplexität in der Entwicklung, aber auch in der Zulassung. Wir waren davon ausgegangen, dass wir eine grundsätzliche Zulassung für die Plattform Talent erhalten und dann nur noch die Abweichungen in den Varianten gesondert zulassen müssen. Die Realität heute ist jedoch, dass wir jeden einzelnen Zug für jede einzelne Region vollständig zulassen müssen. Der Aufwand dafür ist gigantisch.

 

Hätte man das „Handbuch Eisenbahnfahrzeuge“ (i.e. ein vom BMVBS verbindlicher Zulassungsleitfaden, Anm. d. Red.) früher gehabt, wäre es dann einfacher gelaufen ?

Der Talent hat sicherlich dazu beigetragen, dass für alle Beteiligten die Not spürbar wurde, an dem Prozess der Zulassung etwas zu verändern. Zwei Themen fallen mir dazu konkret ein: Das ist erstens die Festschreibung der Normenlage ab dem Tag des Zulassungsantrags für sieben Jahre, und zweitens die Möglichkeit, eben tatsächlich solche Plattformzulassungen zu erhalten.

 

Welches sind derzeit die wichtigsten Produkte aus dem Hause Bombardier für den deutschen Markt?

In Deutschland sind wir natürlich stark vertreten. Unsere Doppelstock-Fahrzeuge für den Regionalverkehr sind sehr populär. Wir haben erstmals das Doppelstock-Konzept auch für den Intercity in Deutschland weiterentwickelt und werden die Züge ab Ende 2013 zum Einsatz bringen. Mit unseren Straßenbahnen sind wir in vielen Städten aktiv. Auch mit unseren S-Bahn-Lieferungen sind wir in Deutschland erfolgreich. Der internationale Wettbewerb um Aufträge wird in Deutschland sicherlich intensiver. Im Gegensatz übrigens zu Japan, wo der Zugang für jeden Anbieter außerhalb Japans komplett unmöglich ist. Wir allerdings stellen uns dem Wettbewerb und versuchen, unsere Kunden auch in Zukunft mit unseren Produkten und Leistungen zu überzeugen.

 

Wie sieht es im Lok-Markt aus, konkret bei TRAXX. Gibt es Überlegungen in Richtung Hybrid-Antriebe?

Die TRAXX-Lokomotive ist in ihrer Art einzigartig in Europa. Wir sind damit erfolgreich, weil wir frühzeitig auf das Plattform-Konzept gesetzt und außerdem das Thema internationale Zulassung als erster Hersteller als Erfolgsfaktor identifiziert haben. Wir sagen heute, dass in Europa internationale Zulassungen bei Lokomotiven niemand besser beherrscht als wir. Und das nicht erst seit ein paar Tagen, sondern seit einem Jahrzehnt.

 

Und was ist mit Hybrid?

Wir haben der Deutschen Bahn ein Mehrmotoren-Dieselkonzept verkauft und sind dabei, die Motoren zu entwickeln. Über Hybrid denken wir im Moment nicht konkret nach. Wir sehen mehr Potenzial beim konventionellen Diesel, gerade auch beim Mehrmotoren-Konzept. Allerdings machen wir Hybrid anders herum.

 

In welcher Form?

Wir bieten die Last-Mile-Lokomotive an, also eine elektrische Lokomotive, die zusätzlich einen Dieselmotor hat, damit sie auch einen leichten Rangierdienst fahren kann. Der Betreiber ist nicht mehr darauf angewiesen, sich in Rangierbahnhöfen Lokomotiven von anderen zu mieten.

 

Wie verteilt sich der Umsatz in Deutschland auf die einzelnen Produktgruppen?

Über die Jahre hinweg betrachtet, spielt für uns der Regionalverkehr in Deutschland die größte Rolle. Allerdings hat im letzten Jahr die Deutsche Bahn den großen ICx-Auftrag vergeben, an dem Bombardier ungefähr mit einem Drittel beteiligt ist. Von daher spielt natürlich auch das Thema Fern- und Hochgeschwindigkeitsverkehr eine große Rolle für uns.

 

DB-Chef Rüdiger Grube hat die Devise ausgegeben, Hochgeschwindigkeit in Deutschland vernünftigerweise bei 250 km/h zu begrenzen. Wie sehen Sie das aus Sicht der Fahrzeugindustrie?

Ein realistischer Blick auf die Geschäfts-chancen ist genau das, was der Bahn gut tut. Ich bin beeindruckt, dass Grube und die Deutsche Bahn in der Lage sind, ein solches Rad auch mal zurückzudrehen. Bisher verstand man unter Innovation, -mmer schneller zu fahren. Die wirklichen Bedürfnisse der Kunden sind andere. Für sie zählt, wie schnell sie von A nach B kommen. Die Reisegeschwindigkeit hängt nicht alleine von der Spitzengeschwindigkeit ab, sondern auch von der Durchschnittsgeschwindigkeit und von der Frage, wo und wie oft die Züge halten. Für die Kunden sind Zuverlässigkeit und Komfort ent scheidend. Die DB bietet den Kunden künftig mit dem ICx ein hervorragendes Produkt.

 

Berlin ist Deutschland-Zentral, aber zugleich auch Headquarter des weltweit operierenden Bombardier-Bereichs Transportation. Welche sind die wichtigsten Märkte für Bombardier?

Zunächst einmal natürlich Deutschland und Europa. In China haben wir unser Metro-Geschäft ausgebaut und werden jetzt ins Hochgeschwindigkeitsgeschäft einsteigen. In Russland sind wir erfolgreich in der Signaltechnik, in Indien mit unseren Metros und ebenfalls mit der Signaltechnik. Nach Brasilien haben wir die längste Monorail-Strecke der Welt verkauft.

 

Hochgeschwindigkeitsverkehr in den USA: Inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. Was erwarten Sie?

Dazu möchte ich nichts sagen, denn das ist nicht mein Markt. Gut ist, dass sich Nahverkehrsprojekte im Sog dieser High-Speed-Euphorie gut weiterentwickelt haben. Wir haben kräftig an die Metro New York und auch an die Chicago Transit Authority verkauft; das Geschäft entwickelt sich weiter gut. Es gab in den USA zusätzliche Gelder für die Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, die teilweise in Erweiterungen im Nah- und Regionalverkehr geflossen sind.

 

Der Zefiro, Ihr Vorzeigeprodukt im Hochgeschwindigkeitsverkehr, ist in China ganz vorne dran. Wie ist der Stand der Dinge?

In diesem Jahr werden wir das erste Fahrzeug auf die Schiene bringen. Allerdings hat sich der chinesische Markt im vergangenen Jahr abgekühlt, als es eine Änderung auf dem Chefsessel des Ministry of Railways gegeben hat. Aber selbst bei reduziertem Volumen ist der chinesische Markt immer noch sehr attraktiv.

 

Wie viel vom Zefiro 380 wird in China gefertigt und wie viel kommt aus dem europäisch-deutschen Umfeld?

Wir haben aktiv aus Berlin (Hennigsdorf) heraus die Entwicklung vorangetrieben. Die Fertigung der Zefiros findet jedoch komplett in unserem Joint Venture in China statt. Der Zefiro 300 für Italien kommt aus China in den europäischen Markt.

 

Dienstleistungen und Service-Angebote werden im Sektor Eisenbahn immer wichtiger. Was ist die Politik von Bombardier?

Bei Bombardier haben wir eine Division für den Service aufgebaut. Unser Service beginnt beim Verkauf von Ersatzteilen über unsere Ersatzteillogistik. Wir stellen sicher, dass wir – egal wo die Lokomotive in Europa fährt – innerhalb von 24 Stunden oder noch eher jedes beliebige Ersatzteil an jeden Ort bringen können. Noch anspruchsvoller wird es, wenn wir gemeinsam mit dem Kunden die Wartung einer Flotte betreiben…

 

Haben Sie Beispiele dafür?

Das machen wir beispielsweise für die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen, wo wir die Doppelstockzüge des Zugsystems Metronom warten. Hier können wir durch eine ständige Überwachung der Fahrzeuge aktiv den Einsatz zwischen präventiver und korrektiver Instandhaltung aussteuern. Augenblicklich bauen wir mit der SBB ein integriertes Instandhaltungskonzept für die Flotte der ICN-Züge auf.

 

Bieten Sie Ihren Kunden auch eine Finanzierung der Fahrzeuge über Bombardier an, wie es teilweise in anderen Industrien erfolgt?

Im Transportation-Geschäft haben wir dazu eine klare Strategie. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, ihre Finanzierung so zu strukturieren, dass sie zu ihren Bedürfnissen passt. Aber wir finanzieren nicht selbst.

 

Die Bahnindustrie unternimmt im Moment sehr viel, um den Nachwuchs von Morgen für sich zu sichern. Wie geht Bombardier das Thema an?

Wir halten zwei Aspekte für besonders wichtig: Zum einen müssen wir als Arbeitgeber noch attraktiver werden. Es ist schon spannend zu sehen, dass Bombardier in einigen europäischen Rankings der attraktivsten Arbeitgeber auftaucht, sicherlich nicht auf Platz 1 oder 2, aber immerhin in der vorderen Hälfte der Top 100. Wenn wir in einem knappen Markt von Ingenieuren junge Menschen für uns begeistern wollen, müssen wir einfach ein top-attraktiver Arbeitgeber sein. Diese Attraktivität hat zu tun mit unserer
Öffentlichkeitsarbeit, mit unserem Produktportfolio, mit unserem Markt. Insofern begrüßen wir es sehr, dass die Deutsche Bahn die Initiative ergriffen hat, denn wenn unser Kunde ein attraktiverer Arbeitgeber wird, dann werden wir als Industrie das automatisch auch, denn das Branchenimage ist ganz wichtig.

 

Und der zweite Aspekt?

An die Hochschulen zu gehen und um Studenten zu werben. Aber auch aktiv Hochschularbeit zu betreiben und dafür zu sorgen, dass an deutschen Hochschulen ausreichend Lehrkapazitäten da sind und der Nachwuchs so auch kompetent ausgebildet werden kann.

 

Welches besondere Ziel haben Sie sich für die nächste Zeit gesteckt?

Unser Ziel als Geschäftsführung ist, unser Image in Deutschland wieder klar zu verbessern und da sind wir auf einem guten Weg. Unser Image hat unter dem Thema Talent gelitten. Hier sind wir einfach den Beweis schuldig, dass wir Top-Züge abliefern können und dass die Züge top performen.

 

Welche drei Wünsche haben Sie an die Branche, an den Markt?

Ich wünsche mir Europa als einheitlichen Bahnmarkt, technisch wie kommerziell, weil ich glaube, dass alle Beteiligten dadurch nur gewinnen können. Je schneller wir es schaffen, unser Geschäft zu europäisieren, desto schneller wird es uns gelingen, das im gemeinsamen Europa liegende Wachstumspotenzial zu erschließen. Denken Sie nur an das Potenzial einer Eisenbahnverbindung von Frankfurt nach London oder an das Potenzial von funktionierenden Güterverkehrsverbindungen zwischen Deutschland und Frankreich.

 

Zweiter Wunsch?

Wir müssen einen neuen Ansatz für die Finanzierung von Eisenbahninfrastruktur finden. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ist ein guter erster Schritt, aber das Volumen der Infrastrukturfinanzierung gerade in Deutschland ist viel zu niedrig. Vergleichsmaßstab für mich sind Spanien und Großbritannien, die in den vergangenen zehn Jahren jedes Jahr zwei- bis zweieinhalb Mal so viel, jeweils rund 10 Mrd. EUR, in ihre Infrastruktur investiert haben. Das sind Länder mit halb so vielen Einwohnern wie Deutschland - und wir sind bei rund 4 Milliarden Euro pro Jahr stehen geblieben.

 

Und der dritte Wunsch?

Die Zulassung muss in Deutschland wieder berechenbar werden. Es kann nicht sein, dass wir für die Zulassung von Fahrzeugen länger brauchen als für ihre Entwicklung.

 

Letzte Frage: In der Nachfolge von Dr. Baur wurden Sie Ende April auch zum neuen Präsidenten des Verbandes der Bahnindustrie gewählt. Welche Themen wollen Sie verbandspolitisch in Zukunft besonders vorantreiben?

Ich mache meine Wünsche zu meinen Themen: Die Erhöhung der Investitionen in die Schieneninfrastruktur zum einen. Zum anderen müssen wir die Investitionen in die Forschung und Entwicklung stärken. Und zum Dritten sollte die Zulassung von Eisenbahnsystemen in Deutschland stark verbessert werden.

 

Herr Clausecker, vielen Dank für das Gespräch.

 

<link file:1819 download>Hier könnnen Sie sich das ganze Interview als pdf herunterladen.

Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 06/12
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 06/12