Interviews

Martin Neese und Michael Baier

„Wir wollen Züge durch Europa traktionieren“

Die Rhenus-Rail-Manager Martin Neese und Michael Baier zur strategischen Aufstellung der Rhenus-Gruppe im Schienengüterverkehr

Herr Neese, Herr Baier, Speditionsunternehmen setzen überwiegend auf den Lkw, Rhenus hingegen nutzt nicht nur die Eisenbahn, sondern hält gleich drei Beteiligungen und eine 100-%-Tochtergesellschaft. Warum engagiert sich Rhenus so stark im Schienengüterverkehr?
Baier: Das Engagement im Schienengüterverkehr ist eine Reaktion auf Kundenwünsche. Zu Rhenus gehören seit langem das regional tätige Eisenbahnunternehmen Rhenus Rail St. Ingbert und eine Mehrheitsbeteiligung an der NIAG, also den Niederrheinischen Verkehrsbetrieben AG, Moers. Logistik ist ein internationales Geschäft. Unsere Kunden fragen verstärkt nach Leistungen auf den europäischen Hauptachsen. Da genügt es nicht, nur national tätig zu sein.
Also eine kundengetriebene Erweiterung des Portfolios. In welche Richtung wollen Sie das Angebot entwickeln? Kombinierter oder konventioneller Verkehr?
Neese: Wir wollen Züge durch Euro­pa traktionieren. Diese Aktivitäten sind als eigenständiges Geschäft innerhalb der Rhenus-Gruppe konzipiert. Dabei sind wir nicht festgelegt, ob es sich um kombinierten oder konventionellen Verkehr handelt. Unsere Tochtergesellschaft Crossrail ist im transalpinen Kombinierten Verkehr stark, die Beteiligungsgesellschaft LTE hat sich im Massengutverkehr etabliert. Wir wollen auf den relevanten Achsen die richtigen Ressourcen einsetzen, um damit verschiedene Supply-Chains bedienen zu können.
Baier: Die Nachfrage kommt im Prinzip aus allen Branchen und Geschäftsfeldern. Insofern wollen wir uns nicht einschränken. Wir müssen aber schon auswählen, auf welchen Achsen ein Segment Sinn hat. Da sind wir sehr stark Ergebnis getrieben. Wir gehen nicht in Märkte, um Bahn zu fahren, wir richten unser Angebot danach aus, wo wir mit dem Bahnfahren Nutzen für Kunden generieren und Geld verdienen können. Aus einem intermodalen Verkehr, der stark im Wettbewerb steht und deswegen wenig Marge abwirft, werden wir uns möglicherweise zurückziehen und stattdessen ein neues Angebot auf einer Achse etablieren, für die Kunden Mengen geschickt bündeln konnten. Wir werden uns aber nicht auf intermodale Transporte oder Massengüter
fokussieren. Bei uns sind sowohl die Kohle als auch der Container gefragt.
Nun haben Sie sich in jüngster Vergangenheit an zwei Eisenbahnen beteiligt. Wäre es nicht möglich gewesen, diese Kundenwünsche auch mit einem einzigen Unternehmen zu bedienen?
Neese: Das ist in der Theorie richtig. In der Rhenus-Gruppe existieren zahlreiche regional orientierte Unternehmen, die in ihrem Markt tätig sind. Die Beteiligung an beiden Unternehmen hat den Ausbau unserer Schienenverkehrsaktivitäten beschleunigt.

Ist denn daran gedacht, die beiden Eisenbahnen in einer Gesellschaft zusammenzuführen?
Neese: Nein. Zum einen agiert Rhenus gern in Beteiligungsstrukturen, zum anderen fokussieren wir das Geschäft gern in einzelnen Gesellschaften.

Baier: Wenn Sie sich die Aufstellung der einzelnen Gesellschaften ansehen, werden Sie feststellen, dass die Gesellschaften unterschiedliche Regionen bedienen. Zusammen decken Crossrail und LTE den Raum ab, für den unsere Kunden Transporte nachfragen. Wir
haben uns unter anderem für das Modell Beteiligung entschieden, weil es äußerst aufwändig ist, ein Eisenbahnunternehmen von Grund auf aufzubauen und die erforderlichen Sicherheitsbescheinigungen zu erwerben.
Neese: Rhenus Rail St. Ingbert, NIAG, Crossrail und LTE kooperieren bereits eng miteinander, aber wir werden sie aus den genannten Gründen nicht in eine Gesellschaft einbringen.

Andere Unternehmen bemühen sich, durch Zusammenlegung von Aktivitäten Synergien zu nutzen.
Neese: Natürlich nutzen unsere Unternehmen auch Leistungen und Betriebsmittel gemeinsam, aber dafür müssen sie nicht auch unternehmensrechtlich zusammengelegt werden. Wichtig ist, dass die handelnden Personen gut zusammenarbeiten.
Baier: Rhenus agiert nach dem Prinzip „so dezentral wie möglich, so zentral wie nötig“. Der Konzern betreibt also die Vernetzung dort, wo sie sinnvoll erscheint. Wir wollen aber auch eine Eigenständigkeit der Einheiten erhalten, weil das nach unserer Überzeugung größere Kundennähe schafft.

Die Wahl von Crossrail und LTE als Übernahmeobjekte – war dies eine Frage der Gelegenheit oder handelte es sich dabei um von langer Hand geplante Zukäufe?
Baier: Wir überlegten in der Tat, wie wir unsere bestehenden Bahnaktivitäten erweitern könnten, um die Kundenwünsche nach Abdeckung weiterer europäischer Gebiete erfüllen zu können. Dann war es allerdings auch so, dass uns die passende Gelegenheit begegnete. Also war es eine Kombination aus passender Gelegenheit und gesuchter Beteiligungsmöglichkeit.

Neese: Wir sind aber nicht in Versuchung, strategisch fortwährend weitere Unternehmensbeteiligungen hinzuzukaufen.

Sie sind ja nun auch auf zwei wichtigen Korridoren unterwegs – Richtung Südosteuropa mit LTE und entlang des Rheins mit Crossrail. Welche Erfahrungen haben Sie mit den beiden Akquisitionen gemacht? Werden Sie von den Speditionskollegen in Ihrem Haus beneidet oder bedauert?
Neese: (lacht) Weder noch. So agieren wir untereinander nicht. Wir haben in den verschiedenen Bereichen gelegentlich Herausforderungen zu bestehen, aber auch Erfolge zu feiern. Bei drei der vier Aktivitäten haben wir eine gute Entwicklung, und in einer müssen wir uns Herausforderungen stellen.

Da sprechen Sie wahrscheinlich Crossrail an.
Neese: Ja.

Crossrail ist in der Vergangenheit schon zwei Mal insolvent gewesen, in Belgien zumindest. Auch aktuell soll die wirtschaftliche Lage nicht besonders rosig sein. Ist Crossrail ein Sanierungsfall?
Neese: Der Begriff „Sanierungsfall“ ist zu negativ belegt. Es gab im vergangenen Jahr eine Reihe von Belastungen: die Entwicklung des Schweizer Franken, Umstellung auf das europäische Zugleit- und Sicherungssystem ETCS, scharfer Wettbewerb auf dem Korridor. Wir sind dabei, mit dem Crossrail-Team das Unternehmen weiterzuentwickeln.

Im Lichte dieser Erfahrung: Hätten Sie Crossrail heute noch einmal gekauft?

Neese (holt Luft): Ich denke, ja – mit der langfristigen Perspektive.

Über den Anteilsverkäufer ist zu hören, er habe sich nicht so verhalten, wie ein Käufer dies nach Treu und Glauben hätte erwarten können. Ist auch das auch ein Grund dafür, dass die Crossrail-Aktivitäten nicht so gut laufen wie von Ihnen erhofft?
Neese: Wir versuchen, vertrauenswürdige Kaufleute zu sein und kommentieren Verhaltensweisen nicht in der Öffentlichkeit, die sicher kritisch betrachtet werden können.

Eignet sich die Eisenbahn auch als Akquisitionsinstrument im Hause Rhenus?
Baier: Ja. Die strategische Zielstellung geht ja auf Kundenwünsche zurück. Daraus ergibt sich automatisch, dass wir damit beim Kunden auch punkten können. Die Fähigkeit, europäische Eisenbahnleistungen grenzüberschreitend bieten zu können, hilft uns beim Kunden sehr. In der Gruppe hilft es uns, weil wir die Eisenbahnleistungen mit weiteren Leistungen der Rhenus-Gruppe verknüpfen können. Es gibt nichts Schöneres, als einen Containerzug zu ziehen, der in ein Rhenus-Terminal einfährt und dessen Ladung dem Kunden über die Rhenus-Trucking-Organisation zugestellt wird. Das bietet uns die Möglichkeit, Transportketten optimal zu managen.

Meine Herren, danke für das Gespräch.

Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 15/16
Artikel von Interview aus Rail Business, Ausgabe 15/16