Mark Fisher: Planung und Koordinierung sind entscheidend
Mark Fisher ist Chief Technical Officer beim Bahninfrastrukturunternehmen Spitzke SE. Er beschreibt, welche Erfahrungen bei der ersten Vollsperrung der Riedbahn zur Vorbereitung der Arbeiten ab Sommer gemacht wurden.
Spitzke und Leonhard Weiss bilden gemeinsam das Konsortium, das mit der ersten Hochleistungskorridorsanierung beauftragt ist, der Riedbahn (Los 1), zwischen Frankfurt und Mannheim. Die Hauptarbeiten beginnen ab Sommer 2024. Die erste Vollsperrung zur Realisierung der vorbereitenden Arbeiten gab es bereits im Januar. Was nehmen Sie aus dieser für das Gesamtprojekt mit?
Diese erste Sperrpause war in Vorbereitung auf die große Sommersperrpause für alle Beteiligten sehr wichtig. Denn die Aufgaben sind hochkomplex, es gibt eine große Masse an Menschen und Maschinen auf sehr engem Raum mit nur sehr begrenzten Trassen, um vielfältige Bauaufgaben unterschiedlicher Gewerke in derartigen Größenordnungen zu erbringen. Es war daher entscheidend, dass alle Projektpartner die Gelegenheit hatten, sich aufeinander einzustellen und Erfahrungen in der Zusammenarbeit zu sammeln. Die beiden für uns wichtigsten Erkenntnisse sind: Es ist möglich, die geforderten großen Bauvolumina fristgerecht umzusetzen. Wir als Bauunternehmen waren, wie festgesetzt, am 21. Januar mit der Realisierung unserer Leistungen fertig. Doch es hat sich gezeigt, dass auch für die Betriebsaufnahme nach Abschluss des Baus ausreichend Puffer vorhanden sein muss, damit die Strecke termingerecht wieder freigegeben werden kann. Außerdem wurde deutlich, dass es erheblichen Koordinierungsbedarf gibt, wenn außer den Arbeiten an der Fahrbahn auch noch Stellwerke umgerüstet, Bahnhöfe umgebaut und Lärmschutzwände errichtet werden.
Wie war die Stimmung? Alle schauten auf das Pilotprojekt und dann wurde es auch noch sehr kalt.
Die Stimmung war sehr gut. Allen Beteiligten war die Bedeutung des Projektes bewusst und daher waren auch alle extrem auf den Projekterfolg fokussiert. Wir haben mit mehreren 100 Menschen über 20 Tage und Nächte hinweg gearbeitet, an den Wochenenden, bei Schnee, Kälte und Regen. Ich glaube, der Teamgeist selbst hat die Kolleginnen und Kollegen beflügelt.
Was waren neben diesem Engagement aller Beteiligten weitere wichtige Faktoren?
Wie immer haben wir Kapazität vorgehalten, also Redundanz eingeplant. Es kann immer etwas schiefgehen und dann die notwendige Ersatzausrüstung erst beschaffen zu müssen, führt zu erheblichen Verzögerungen in einem Projekt. Nur ein Beispiel: Für das Einbringen unserer Rohrgründungen für die Oberleitungsmaste und Signale haben wir drei Gleisrammen vorgehalten, gereicht hätten wahrscheinlich auch zwei.
Hat sich gezeigt, dass sich die Annahmen, die Sie bei der wirtschaftlichen Kalkulation gemacht haben, bestätigen oder gibt es Abweichungen?
Den Strich unter das ganze Projekt ziehen wir am Ende. Doch aus heutiger Sicht können wir sagen, dass wir mit den geplanten Ressourcen bisher zurechtgekommen sind. Der erste Schritt bei einem solchen Projekt sind immer Machbarkeitsanalysen, zunächst durch den Kunden vor der eigentlichen Ausschreibung. Doch auch wir als Baufirma führen Machbarkeitsanalysen durch, bevor wir ein Angebot abgeben. So wird ein Bauablaufplan unter Berücksichtigung aller Leistungsparameter der Ressourcen erstellt. Letztendlich setzt sich ein Großprojekt aus vielen kleineren Projekten zusammen. Alle müssen gut vorgeplant und aufeinander abgestimmt werden.
Mein Eindruck ist, dass Planbarkeit generell abgenommen hat, dass alles volatiler wird.
An der ein oder anderen Stelle stimmt das sicherlich. Wir hatten beispielsweise nicht mit den sehr langen Materialisierungsfristen gerechnet, mit denen wir heute zurechtkommen müssen. Normalerweise materialisieren wir ein Projekt erst dann, wenn uns eine abgeschlossene, funktionierende Ausführungsplanung vorliegt. Bei der Riedbahn war das nicht sofort der Fall. Dass es letztendlich dennoch so gut funktioniert hat, lag daran, dass alle Beteiligten pragmatisch und lösungsorientiert zusammengearbeitet haben und schnell Entscheidungen getroffen wurden, auch auf Seiten der Projektleitung der Deutschen Bahn. Das ist schon ein ganz besonderer Spirit bei diesem ersten Korridorprojekt. Ähnliche Herausforderungen wie bei der Beschaffung des Materials hatten wir übrigens auch bei der Auswahl und Bindung von Sonderfachleuten und Spezialfirmen für einzelne Gewerke. Viele von ihnen sind lange im Voraus ausgebucht. Das zeigt, wie wichtig eine hochpräzise Vorplanung und lange Vorlaufzeiten sind.
Eine lange Vorlaufzeit hatten Sie nicht.
Nein, die Zeit zwischen Entscheidung und Baubeginn war eigentlich zu kurz, zumindest bei der Riedbahn als erstem Korridorprojekt der Deutschen Bahn. Angesichts dieser kurzen Zeitspanne war ein entscheidender Erfolgsfaktor, dass wir – Spitzke gemeinsam mit unserem Arge-Partner Leonhard Weiss – als Fachfirmen über sehr viel Erfahrung in großen Projekten verfügen. Dies trifft auch auf unsere Dienstleister zu. So arbeiten wir zum Beispiel bei der Planung mit der Firma Obermeyer zusammen und setzen auf deren Fachkompetenz. Wenn die Planer von Obermeyer festgestellt haben, dass sie noch dieses oder jenes Gutachten brauchen, sind wir als Baufirma losmarschiert und haben uns darum gekümmert. Dies ist sicher kein typisches Vorgehen in großen Bahnbauprojekten, doch anders wäre die Aufgabe nicht zu schaffen gewesen. Das ist eben der Spirit, der alle im Projekt vereint. Auch die Projektleitung der Deutschen Bahn war gefühlt rund um die Uhr präsent und erreichbar und hat möglich gemacht, was uns zuvor unmöglich erschien. Deshalb ist es wichtig, dass die Planer, welche das Bausoll definieren und die Entwurfsplanung machen, ausreichend Zeit bekommen und alle notwendigen Unterlagen, Nachweise und Informationen rechtzeitig erhalten. Dann wird es für alle, die im Prozess nachfolgen, leichter. Künftigen Generalsanierungen wird daher bereits jetzt schon im Vorbereitungs- und Planungsprozess mehr Zeit eingeräumt.
Haben Sie innovative Techniken eingesetzt, um die großen Bauvolumina zu bewältigen?
Wir haben eine Bauleitzentrale eingerichtet, bei der auf großen Monitoren letztendlich das ganze Gleisfeld 1:1 abgebildet ist. Alle Maschinen sind mit GPS-Trackern ausgerüstet, sodass die zwei bis drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bauleitzentrale rund um die Uhr und in Echtzeit im Blick haben, welche Maschinen im Gleisfeld sind. Es wurde ein Kommunikationskonzept entwickelt und für alle Beteiligten verbindlich vereinbart. So konnten und können schnell die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ohne innovative Lösungen kann ein solches Projekt nicht umgesetzt werden.
Sind auf den Bildschirmen Kamerabilder zu sehen oder eine virtuelle Abbildung des Gleisfeldes?
Eine virtuelle Abbildung des Gleisfeldes. Der Gleisgraph wurde von einem externen Dienstleister erstellt, mit allen Weichen, Ein- und Ausfahrten, Überleitstellen und Abstellgleisen.
Gibt es nach der ersten Sperrpause eine offizielle Auswertung, was bei der Riedbahn und eventuell auch den folgenden Korridorsanierungen noch besser gemacht werden könnte?
Ja, eine solche Auswertung ist schon terminiert. Es gibt hierzu einen mehrstufigen Prozess: Zuerst werten die beiden Baufirmen jeweils intern ihre Erfahrungen aus, dann folgt eine gemeinsame Auswertung als Arbeitsgemeinschaft zusammen mit dem Planungsunternehmen. In einem letzten Termin besprechen wir dann die Erkenntnisse mit der Projektleitung der Deutschen Bahn. Jeder hat seine Erfahrungen gemacht und dokumentiert, sodass eine derart wichtige Auswertung möglich ist. Geplant ist der Abschluss dieses Prozesses im März, damit alle Beteiligten noch vor der Sperrung im Sommer notwendige Optimierungen umsetzen können.
Heute schon: Was haben Sie auf Ihrer Liste der Erfolgsfaktoren stehen?
Ich habe den besonderen Spirit ja schon erwähnt. Auf einzelne Punkte heruntergebrochen würde ich sagen, es braucht eine gut dimensionierte und kompetente Projektleitung auf beiden Seiten – Auftragnehmer und Auftraggeber, eindeutig definierte Verantwortlichkeiten und eine angemessene Besprechungsplanung und -kultur. Wir hatten zum Beispiel jeden Tag zu festgesetzten Terminen Besprechungen mit genau definierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern, um alle notwendigen Themen für den Tag, die Nacht oder die nächsten Tage abzustimmen.
Ein mögliches Problem, das Sie im Vorfeld skizziert hatten, war, dass es keine tatsächliche Totalsperrung gab, sondern die Gleise nachts für einige Stunden befahrbar sein mussten. Wie hat sich das ausgewirkt?
Wir hatten das Glück, dass die Gleise nicht jede Nacht und dann auch erst ab der zweiten Woche nachts befahrbar sein mussten. Außerdem war der Anrainerverkehr von Anfang an bekannt und eingeplant. Dennoch möchte ich betonen: Bei so viel Bauvolumen in so kurzer Zeit sollte im Vorfeld alles versucht werden, den Anrainerverkehr für einen gewissen Zeitraum ganz zu unterbrechen und andere Lösungen zu finden, beispielsweise durch Andienung über die Straße. Denn immer wieder die Endlage herzustellen, damit ein Gleis von regulären Zügen befahren werden kann, kostet nicht nur sehr viel Zeit, sondern auch Geld.
Wir hatten schon kurz über die virtuelle Darstellung der Gleisfeldes gesprochen. Gibt es noch andere Innovationen?
Erstmals werden wir im Sommer bei der Generalsanierung der Riedbahn einen Bewegungssensor in den Weichen haben. So kann die Betriebsleitzentrale immer gewährleisten, dass eine Weiche richtig gestellt ist. Diese Automatisierung der Überwachung ist ein riesiger Schritt nach vorn. Unser Arge-Partner Leonhard Weiss wird beim Bau der Lärmschutzwände außerdem Lasthubschrauber einsetzen, die das Material vor Ort bringen. Das erleichtert wiederum die Logistik im Gleis, weil nicht die ca. 50.000 qm Lärmschutzwände über das Gleis angefahren werden müssen. Wir arbeiten übrigens auch auf dieser Ebene in der Arbeitsgemeinschaft gut zusammen, überprüfen, wie wir Arbeiten bestmöglich aufeinander abstimmen, und nutzen auch gegenseitig unsere Maschinen, um etwaige lange Anfahrtszeiten von Spezialmaschinen zu vermeiden.
Wie stark sind Sie als Bahnbau von Entwicklungen in der allgemeinen Bauindustrie betroffen?
Es ist bedauerlich, was gerade in der Wirtschaft allgemein und in der Bauwirtschaft im Besonderen passiert! Vielleicht wird es für uns etwas einfacher, neue Fachkräfte zu gewinnen. Allerdings sind die Gewerke im Bahnbau und im Hoch- und Tiefbau sehr unterschiedlich. Außerdem haben wir im Bereich des Bahninfrastrukturbaus andere Rahmenbedingungen: Der Ingenieur im Hoch- und Tiefbau arbeitet tagsüber, von Montag bis Freitag. Im Bahnbau arbeiten wir dagegen besonders viel am Wochenende und nachts.
Mit der Rail Baltica soll in den kommenden Jahren ein riesiges Bahn-Neubau-Projekt umgesetzt werden. Wie sind hier die Zusammenhänge? Werden dadurch Kapazitäten aus Deutschland abgezogen?
Ich schätze den Einfluss als eher gering ein. Dies sind Bauprojekte, die mehrere Jahre dauern und durch mehrere Länder führen. Unsere Märkte sind Deutschland, Dänemark und die angrenzenden Länder.
Zum Abschluss eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?
Mit meiner Familie natürlich, das gilt immer. Physischen Ausgleich bieten mir Radfahren und Gartenarbeit, den geistigen Ausgleich finde ich in guten Konzerten und gerne auch bei einem schönen Abendessen.
Das Interview aus der Eisenbahntechnischen Rundschau führte Dagmar Rees