Lars Schnieder: Planung und Zusammenarbeit
Lars Schnieder ist CEO der ESE Engineering und Software GmbH. Kern seiner Tätigkeiten ist die Digitalisierung und Automatisierung des Bahnsektors und des öffentlichen Verkehrs. Im ETR-Interview zeigt Schnieder Wege auf, wie ihre Einführung beschleunigt werden kann. Das Interview ist der Ausgabe ETR 9/2023 entnommen.
Im Sektor Schiene stehen große Veränderungen an, auch bei der Technik. Sehen Sie Möglichkeiten, die Zulassungsprozesse zu beschleunigen?
Ein erster Schritt wäre getan, wenn Aufgabenträger im SPNV ihre Bedarfe abgleichen beziehungsweise standardisieren würden, um die Variantenvielfalt der Schienenfahrzeuge einzuschränken. Augenblicklich verwirklicht sich jeder Aufgabenträger selbst in der Spezifikation seiner Fahrzeugkonzepte. Ein gutes Beispiel für eine solche Zusammenarbeit ist die VDV Tram-Train. Hier haben sich mehrere Aufgabenträger zusammengefunden und ihre Bedarfe gebündelt. Der beauftragte Hersteller, in diesem Falle Stadler, konnte dann die geeignetsten Varianten entwickeln und dabei Synergieeffekte nutzen. Dieses Vorgehen verhinderte nicht nur mehrere Durchläufe beim Hersteller, sondern auch bei der Zulassung. Der zweite Schritt wäre für mich eine gemeinsame Technologie-Roadmap für Themen wie die Fahrzeug-Umrüstung auf ERTMS/ETCS, der Übergang zum neuen Bahnfunk FRMCS und auch die Einführung von Automated Train Operation (ATO), um zu verhindern, dass Fahrzeuge immer wieder neu den Zulassungsprozess durchlaufen müssen. Wir müssen es also schaffen, die Einführung dieser heute schon absehbaren technologischen Innovationen zeitlich zu bündeln. So müssen wir nur noch einmal zulassen statt dreimal.
Vor einigen Monaten brachte der Vertreter eines Lokomotivherstellers ein Moratorium bei der ETCS-Versions-Weiterentwicklung ins Gespräch, damit alle in Europa einige Jahre lang auf der gleichen Basis arbeiten können.
Ich sehe noch nicht, dass wir für Deutschland ein Niveau erreicht haben, bei dem mit den betrieblich-technischen Systemfunktionen alle Anwendungsfälle spezifiziert sind. Wir können auf Weiterentwicklung nicht verzichten. Andererseits bietet die ETCS Baseline 3 oder genauer das SRS-Release 3.6.0 schon viele Bausteine, mit der eigentlich viele betriebliche Szenarien realisierbar sind. Von daher kann ich dem Gedanken folgen, ohne abschließend beurteilen zu können, ob dies notwendig und die SRS 3.6.0 die richtige Version wäre.
In Deutschland muss also der Betrieb in ETCS noch tiefer spezifiziert werden?
Die betrieblich-technischen Systemfunktionen sind die Antwort darauf, wie wir den Werkzeugkasten ETCS in Deutschland leben wollen, denn sie setzen Anwendungsfälle in ETCS um. Ein Beispiel ist das Kuppeln von Zügen: Wird dies als Rangierfahrt oder als Fahrt mit Ersatzsignal umgesetzt? Solche Dinge müssen noch definiert werden. Bisher wurde bei ETCS mehr in Richtung Hochgeschwindigkeitsverkehr gearbeitet. Mit dem Digitalen Knoten Stuttgart bearbeiten wir jetzt auch den Nahverkehr, so dass wir zukünftig auch Nahverkehrsnetze mit erhöhter Kapazität betreiben können. Es gibt also bei den betrieblich-technischen Systemfunktionen noch viele Aufgaben zu lösen. Gleichzeitig muss man bedenken, dass sich augenblicklich der Anteil der ETCS-Strecken im Gesamtnetz im einstelligen Prozentbereich bewegt. Allerdings wollen wir in Deutschland bis Ende des kommenden Jahrzehnts das gesamte Netz mit ETCS ausgerüstet haben. Hier brauchen wir Planungsbeschleunigung, auch durch Digitalisierung.
Auf einer Konferenz wurde darüber gesprochen, dass ein Punkt, der das Pilotprojekt Digitaler Knoten verlangsamt hatte, war, dass oft erst noch geklärt und abgestimmt werden musste, welche Standards anzuwenden seien und welchen Zulassungsprozesse gelten sollen.
Allgemein gesprochen gab es für Zulassungen zuerst die Verwaltungsvorschrift Neue Typ-Zulassung (VVNTZ), die dann vor noch nicht allzu langer Zeit von dem Vorgehen nach der Sektorleitlinie abgelöst wurde. Hier müssen wir noch weiter Erfahrungen sammeln, wie die EIGV in Verbindung mit der Sektorleitlinie in der Praxis gelebt werden kann. Das ist ein Thema. Das zweite Thema ist Cybersecurity. Dies ist ein neues Feld für den Bahnsektor. Das Eisenbahn-Bundesamt sieht hier eine Vielzahl von Prüfgebieten; wenn die Prüfungen von einzelnen Protagonisten ausgeführt und dann von einem Gutachter zusammengeführt werden, kommt es immer zu Reibungsverlusten. Wir haben noch kein stringentes Vorgehen, wie das Thema Cybersecurity zulassungsrechtlich behandelt werden soll. Dabei wird das Thema Cybersecurity immer wichtiger, weil alle digitalen Technologien, die wir einführen wollen, auf Vernetzung basieren und Vernetzung heißt, dass wir neue externe Einflussfaktoren haben werden. Hier müssen wir unser Schwert schärfen, damit wir diesen Kampf gegen die Bedrohung von außen erfolgreich führen können.
Der Digitale Knoten Stuttgart könnte für das Thema Cybersecurity eine Blaupause liefern?
Beim Digitalen Stellwerk in Stuttgart setzen wir Industriestandards ein. Das ist betriebswirtschaftlich sinnvoll und richtig. Gleichzeitig entstehen so jedoch auch neue potenzielle Zugriffsmöglichkeiten. Es ist deshalb richtig, dass das Eisenbahn-Bundesamt hier intensiv prüft und alle Cybersecurity-Fragen sehr ernsthaft verfolgt. Was wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, ist die Frage, was der Maßstab der Angemessenheit sein wird. Bei Safety hat sich dies ganz klar etabliert: Wir haben Methoden der Risikoanalyse, die uns mit tolerierbaren Gefährdungsraten eindeutige Bemessungskriterien geben. Dies brauchen wir bei Security auch: Wir müssen definieren, wie viel Security genug ist. Natürlich wird die Antwort immer dynamisch sein, weil sich auch die Angriffsmöglichkeiten stetig fortentwickeln. Doch bei der Zulassung muss man eine klare Linie ziehen können, weil sonst die Anforderungen ins Unermessliche gehen. Dann sind wir als Verkehrsträger nicht mehr wirtschaftlich und damit nicht mehr wettbewerbsfähig.
Sie sprachen Planungsbeschleunigung durch Digitalisierung an. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier? Denken Sie dabei auch an Künstliche Intelligenz?
Die Bestandsdaten, auch die rastergrafischen, liegen hochgradig analog vor. Wie können diese digitalisiert werden? Es gibt schon Beispiele, auch aus dem Bereich der Deutschen Bahn, wie mit Künstlicher Intelligenz Bilderkennung möglich ist. Denkbar ist beispielsweise, dies für die Erkennung und digitale Erfassung von Signal-Typen einzusetzen. Zu klären wäre außerdem, wie diese Daten in ihrer Qualität gesichert und anschließend in CAD-Programme importiert werden können. Bisher müssen noch Menschen die Verifikation durchführen, um die Daten zu plausibilisieren. Doch kann dies gewiss zukünftig mit digitalen Werkzeugen in einer anderen Geschwindigkeit umgesetzt werden als heute.
Eine andere Möglichkeit ist, über Drohnenflüge oder Erfassungsfahrten den digitalen Zwilling aus der bestehenden Infrastruktur retrograd abzuleiten. Dieses digitale Abbild fließt dann später bei der Projektierung, auch von Anlagen der Leit- und Sicherungstechnik, ein. Die eigentliche anlagenspezifische Projektierung wird von den Herstellern ja schon digital in Form von Software abgebildet. Die anschließende Frage ist dann, wie man auch den Abnahmeprozess durch Prüfautomaten vereinfacht. Diese könnten für den Prüfer die Datenmenge reduzieren, die bei Software-Planprüfungen gesichtet werden. Denn Plan- und Abnahmeprüfer werden auf absehbare Zeit auch eine Engpass-Ressource sein. Wenn wir Standards haben, Eulynx beispielsweise, kann vieles durch herstel-lerunabhängige Konformitätstests geprüft werden. Dies würde in der Folge dann auch die Integrationstests beschleunigen. Dennoch: Am Ende muss es immer den Sachverständigen geben, der leider auch eine „Sternenstaub-Ressource“ ist.
Natürlich könnte man Digitalisierung dann auch in der Aus- und Weiterbildung der Prüfer und Sachverständigen verwenden und dabei bestimmte Prüfvorgänge automatisieren, ebenso wie die Anerkennung der Prüfer und Sachverständigen. Werden die Automatisierungsprozesse rund um die Prüfung schon angegangen?
Für einen hochautomatisierten Nahverkehr führen wir schon mit digitalen Werkzeugen unterstützte Prüfungen durch und sind hierfür auch akkreditiert. Geprüft werden kann so beispielsweise, ob eine Fahrstraßenlogik korrekt abgebildet ist. Unsere Erfahrungen im Nahverkehr, übrigens bis GoA 4, können wir auch auf „die große Bahn“ übertragen, denn ein Streckenatlas des ETCS Radio Block Centers ist von der Aufgabe her auch nichts anderes als ein Streckenatlas des CBTC-Systems der Metro in Oslo. Vor drei Jahren hat China in einem Jahr 1000 km U-Bahn in Betrieb genommen. Ich weiß, dass man mit Vergleichen vorsichtig sein sollte, viele Parameter anders sind und Nahverkehr einfacher als Eisenbahn ist - dennoch zeigt dieses Beispiel meines Erachtens, wie performant die Bahnindustrie sein kann und welche Geschwindigkeiten auch im Sektor Bahn zu erreichen sind. Wir sollten deshalb gemeinsam schauen, wo in Deutschland der Sand im Getriebe steckt.
Setzt China schon die automatisierten digitalen Verfahren ein, die Sie beschrieben haben, oder hat das Land genug Menschen, um diese hohe Geschwindigkeit auch manuell erreichen zu können?
Es ist ein Markt, der sehr attraktiv ist und in dem sich viele Hersteller bewegen, internationale wie lokale. CBTC-Lösungen sind proprietär, ETCS ist standardisiert. Der Preis für die durch proprietäre Systeme erreichte Schnelligkeit ist, dass bei zukünftigen Migrationen immer der Hersteller des ursprünglichen Systems beauftragt werden muss. Bei ETCS in Europa gibt es nur eine Handvoll Hersteller, mit begrenzten Kapazitäten. Durch Eulynx verändert sich dies jedoch und ich gehe davon aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren doppelt so viele Hersteller im Markt haben werden und die Kapazität auf Herstellerseite kaum noch ein Problem sein wird. Das verlagert dann allerdings das Problem wieder auf die Seite der Kapazitäten bei Planung und Abnahmeprüfung.
Warum nimmt durch Eulynx die Zahl der Wettbewerber zu?
Durch Eulynx und die damit einhergehende Standardisierung ist erstmals der Markt für Leit- und Sicherungstechnik nicht mehr allein national definiert, sondern EU-weit geöffnet. Das macht einen Markteintritt für neuer Hersteller attraktiv.
Bei der ETCS-Umrüstung der Lokomotiven sind manchmal Zweifel zu hören, ob das in dem notwendigen Umfang und mit der notwendigen Schnelligkeit überhaupt zu schaffen ist. Auch hohe Kosten für die Zulassung werden als Hemmnis genannt. Gibt es Methoden, die Umrüstung zu beschleunigen und die Kosten zu senken?
Ich würde mich hier auf Best Practices fokussieren. Best Practice-Beispiel ist für mich Dänemark. Dänemark hat sich vor zehn Jahren auf den Weg gemacht, das ganze Land erst einmal von der Signaltechnik her auf ETCS hochzurüsten. Diesen Weg sind sie konsequent gegangen und haben drei Verträge vergeben: Infrastruktur auf Jütland und den dänischen Inseln sowie für die Fahrzeuge. Damit haben sie alle Bedarfe in Dänemark gebündelt. Dadurch wird vermieden, dass ein Fahrzeugtyp mehrfach angefasst werden muss. Das müssten wir auch in Deutschland schaffen: Für einen Fahrzeug-Typ über alle Eisenbahnverkehrsunternehmen hinweg die Bedarfe zu bündeln, um den Genehmigungsprozess durchzuziehen beziehungsweise später die vereinfachte Typgenehmigung für Varianten. Das muss natürlich vergaberechtlich einwandfrei umgesetzt werden, denn es bedeutet auch, dass ein Fahrzeug-Typ nur mit dem ETCS-Onboard-Gerät eines einzigen Herstellers ausgestattet ist und nicht mit Geräten mehrerer unterschiedlicher Hersteller. Die mehrmalige Zulassung eines Fahrzeug-Typs wie bei der Ausstattung des gleichen Fahrzeug-Typs mit Geräten verschiedener Hersteller können und sollten wir uns nicht leisten, weder finanziell noch terminlich. Wenn wir dies umsetzen könnten, würden wir den Sektor wesentlich voranbringen.
Braucht es hier einen Integrator, der diese Bündelung macht?
Es braucht sicher eine ganzheitliche Programmsteuerung, als Dienstleistung für die Branche. Mit der Digitalen Schiene Deutschland ist eine solche Projektorganisation für den streckenseitigen Rollout von ETCS ja schon länger etabliert. Dies brauchen wir analog auch für Schienenfahrzeuge. Tun wir das nicht, besteht das Risiko, dass irgendwann zwar die Infrastruktur auf ETCS umgestellt ist, aber die Fahrzeuge nicht. Man muss also eine konzertierte Aktion im Sektor umsetzen. Hier könnte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine Rolle spielen, der auch die Bedarfe von Nicht-DB-Unternehmen im Blick hat. Außerdem wird es einen Finanzierungskorridor geben müssen über das Bundesministerium für Digitales und Verkehr.
Bei der Frage, wie man Bahn langfristig vereinfachen und kostengünstiger machen kann, sollte hier nicht auch ETCS Level 3 eine Rolle spielen?
Es braucht sicher erst einmal ein Hybrid-Konzept, das den Mischbetrieb auch mit konventionellen Zügen erlaubt. Meiner Ansicht nach würde man, wenn man es wollte, durchaus Anwendungsfälle finden, wo ETCS Level 3 schon umsetzbar wäre, auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln etwa oder bei der S-Bahn Hamburg. Wir haben auch die Regionaltangente West bei Frankfurt schon diskutiert. Doch haben wir hierfür die Kapazität, wenn schon die Umstellung auf ETCS Level 2 nicht den Vortrieb hat, den wir uns wünschen? Haben wir die Zeit, die Regelwerke entsprechend anzupassen? Andererseits könnten wir durchaus da, wo Level 3 notwendig wäre, um die gewünschte Performance zu erreichen, etwas progressiver sein. Es ist immer die Frage, ob man auch einmal etwas wagt und ausprobiert, also ein Risiko eingeht. Natürlich nur ein Projekt-Risiko – Sicherheitsrisiken sind nicht verhandelbar.
Sie lesen an der RWTH Aachen und sind seit einigen Monaten auch Honorarprofessor an der TU Braunschweig – gibt es genug Nachwuchs für den Sektor Bahn?
Die RWTH Aachen hat den richtigen Ansatz gefunden. Sie hat mit dem Master-Studiengang Railway Systems Engineering ein Leuchtturmprojekt installiert, das es Fachkräften aus dem Ausland ermöglicht, einen berufsqualifizierenden Abschluss im Bereich der Schienenverkehrstechnik zu erwerben. Dieses Studienangebot hat Strahlkraft, die sich auch darin äußert, dass jedes Jahr 70 Studierende ihr Studium beginnen. Dies sind Studierende, die zuvor alle ein Bachelorstudium absolviert haben, meist im Maschinenbau oder im Bauingenieurwesen, leider weniger in Elektrotechnik oder Informatik. Man sieht, dass ein solches Studienangebot in Deutschland attraktiv ist und angenommen wird. Ich selbst genieße es, hier zu lehren, weil viele der Studierenden schon Berufspraxis in ihren Heimatländern hatten. Englischsprachige Studiengänge sind eine Chance, Fachkräfte aus dem Ausland für den Standort Deutschland zu gewinnen. Als Leit- und Sicherungstechniker finde ich zwar nicht immer 1 zu 1 die Kompetenz, die ich brauche. Außerdem gibt es Sprachbarrieren. Somit steht auch das aufnehmende Unternehmen in der Verantwortung zur Weiterqualifizierung. Es gewinnt mit diesem Studienangebot zwar nicht den idealtypischen deutschsprachigen Absolventen, jedoch einen Absolventen, der nachweislich Kenntnisse erworben hat und dadurch, dass er ins Ausland gegangen ist und an einer fremden Universität sein Wissen erworben hat, auch gezeigt hat, dass er bereit ist, „die extra Meile zu gehen“. Die TU Braunschweig plant, mittelfristig ebenfalls englische Studiengänge einzuführen. Wenn das Beispiel Aachen Schule macht, ist es mir um die Zukunft nicht bange. Doch Aachen allein reicht natürlich nicht aus.
Es braucht also mehr englischsprachige Angebote, um das Netz weiter werfen zu können?
Wir haben in Deutschland eine breit aufgestellte Hochschullandschaft, die sich mit dem Verkehrsträger Schiene auseinandersetzt und geeignet ist, ausreichend viele und gute Absolventen hervorzubringen. Mint-Fächer werden von deutschen Schülerinnen und Schülern jedoch nicht so häufig gewählt, wie es gebraucht würde. Auch die Bevölkerungsstatistik zeigt, dass wir es allein mit deutschsprachigen Absolventinnen und Absolventen nicht schaffen werden, den Bedarf zu decken. Zumal der Bedarf mit dem Hochlauf der Digitalen Schiene in Deutschland noch weiter steigen wird.
Mathe als eines der Mint-Fächer hat keinen Numerus clausus, doch hohe Abbruchraten an deutschen Universitäten. Wäre hier ein Pool an Studierenden, den man gezielt ansprechen könnte?
Mathe ist für Ingenieure eine Hilfswissenschaft. Wer ein Mathestudium begonnen hat, wollte vielleicht eher wissenschaftlich als anwendungsbezogen arbeiten und hat deshalb kein Interesse an Eisenbahntechnik, Maschinenbau oder Bauingenieurwesen. Dennoch stellen natürlich diese Mathe-Abbrecher einen Pool an potenziell Interessierten dar. In Niedersachsen wird auch schon gezielt auf sie zugegangen, um sie für andere Studienfächer zu gewinnen. Allgemein muss die Bahnindustrie sich mehr öffnen und bereit sein, aus vielen unterschiedlichen Quellen zu schöpfen. Das beginnt mit passenden Ausbildungsangeboten, etwa zum Fachinformatiker, geht weiter mit Angeboten zum Dualen Studium, um schon früh Studierende an sich zu binden, und endet nicht mit der Förderung von lebenslangem Lernen, also dem stetigen Weiterqualifizieren der eigenen Mitarbeitenden. Es ist im Schulterschluss mit den IHK möglich, langjährige, in ihrem jeweiligen Ausbildungsberuf erfahrene Mitarbeitende bis hin zu einem dem klassischen akademischen Studium gleichwertigen Abschluss – dem „Bachelor Professional“ oder dem „Master Professional“ weiterzuentwickeln. Wir müssen in dem Zwischenbereich zwischen gewerblicher Ausbildung und akademischem Masterabschluss vielfältige und flexible Bildungsangebote machen. So befähigen wir auch jene Mitarbeitende, die initial ihr Potenzial zunächst nicht entfalten konnten, aber dann während ihrer Berufslaufbahn das Wollen entwickeln und über ihre Berufserfahrung das Können beisteuern. Wir dürfen nicht mehr nur in Schwarz-Weiß denken, in nicht akademisch und akademisch.
Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?
Kurz gesagt: Familienzeit und Sport. Ich genieße es, in der Freizeit die Hobbys unserer Zwillinge aktiv zu begleiten und dabei vom Berufsalltag abzuschalten. Ansonsten bekomme ich den Kopf beim Laufen frei.
Das Interview aus der Eisenbahntechnischen Rundschau führte Dagmar Rees.