Karsten Gruber: Erhebliche Einsparpotenziale
Dr.-Ing. Karsten Gruber ist seit Mitte 2022 Geschäftsführer von Obermeyer Infrastruktur. Klare Zeitgrenzen, Einbeziehung aller Beteiligten und Kooperationen sind für ihn die Schlüssel zur Projektbeschleunigung.
Infrastrukturprojekte sollen schneller umgesetzt werden. Es wird in Deutschland an den Änderungen der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen gearbeitet. Gibt es aus Ihrer Sicht beim Planen und später beim Bauen von Infrastrukturprojekten Möglichkeiten der Beschleunigung?
Das ist ein Thema, das uns alle umtreibt. Ich wohne in Krefeld, Nordrhein-Westfalen ist mein Heimatbundesland. Wenn man sich hier die Infrastruktur betrachte, die sanierungsbedürftigen Straßen, Brücken und Schienenwege, und weiß, wie lange es von der ersten Idee bis zum Durchschneiden des roten Bandes braucht, fragt man sich unweigerlich, warum das in Deutschland immer so lange dauert. Meiner Ansicht nach gäbe es durchaus Möglichkeiten der Beschleunigung.
Was könnte anders gemacht werden?
Während meiner Auslandstätigkeiten habe ich einiges in Bezug auf schnelle Umsetzung von Bauprojekten gelernt, besonders in den Niederlanden. Hier werden bei einem Großprojekt schon sehr früh wirklich alle Stakeholder einschließlich der potenziell Geschädigten eingebunden, seien es die Anwohner, die Landwirte, der Naturschutz – es sitzen wirklich alle an einem Tisch. Alle Interessen und Konflikte werden ernst genommen, man sucht nach bestem Wissen und Gewissen nach einer Lösung. In Deutschland werden die Stakeholder meistens erst später eingebunden, oft ist es dann schon zu spät. Der größte Unterschied zwischen den Niederlanden und Deutschland ist jedoch, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt das Zeitfenster der Beteiligung geschlossen wird. Ab dann kann verbindlich geplant und gebaut werden. In Deutschland ist dies leider immer noch anders – hier kann bis zum Sankt Nimmerleinstag geklagt und damit der Plan- und Baufortschritt behindert werden.
Außerdem sollte man sich in Deutschland beispielweise auch die Frage stellen, ob ein neues Planfeststellungsverfahren wirklich notwendig ist, wenn eine Brücke abgerissen und an genau gleicher Stelle neu wieder aufgebaut wird. Hier gibt es noch viel Einsparpotenzial.
Nicht zuletzt könnte die Zusammenarbeit aller an einem Projekt Beteiligten verbessert werden. Im Ausland wird schon seit Ende der 1990er Jahre viel mit Partnerschaftsmodellen gearbeitet – in Deutschland tut man sich hiermit noch schwer.
Partnerschaftsmodelle beim Bau – was umfasst dies?
Bei Partnerschaftsmodellen bringt man von Anfang an die planenden und die ausführenden Firmen zusammen. Man kann sich dadurch bei Veränderungen der Rahmenbedingungen und damit der Planung frühzeitig miteinander abstimmen. Das passt nicht für jedes Projekt, doch wo es möglich ist, sollte das Partnerschaftsmodell eingesetzt werden, denn durch enge Koordination und frühzeitige Abstimmung aller Planenden und Ausführenden kann ebenfalls ein erhebliches Einsparpotenzial verwirklicht werden.
Wenn in Deutschland von mehr Investitionen in die Infrastruktur gesprochen wird, kommen recht schnell Zweifel auf, ob überhaupt genügend Ingenieur-Kapazität – schon beim Planen, aber auch später beim Bauen – vorhanden sein wird. Wie sehen Sie das? Werden definitiv die Ingenieurinnen und Ingenieure der Engpass sein, oder gibt es durch vermehrten Einsatz von Building Information Modeling (BIM) ausreichend Produktivitätsgewinne?
Wir haben Arbeit ohne Ende, für mindestens die nächsten zehn Jahre. Das gilt für die Ingenieurbüros, das gilt für die bauausführenden Firmen, aber auch für die Auftraggeber. Doch wir befinden uns in einem tiefen Tal bei der Personalausstattung. Besonders eng ist es beim Mittelbau, also den 35-, 40-, 45-jährigen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass ein Bauingenieurstudium vor 15 bis 20 Jahren nur Wenigen attraktiv erschien. Das hat sich jetzt zum Glück geändert – beim Nachwuchs ist die Situation insgesamt besser, doch müssen diese jungen Männer und Frauen erst noch ausgebildet und eingearbeitet werden. Bei Obermeyer sind wir zum Glück gut aufgestellt, weil wir uns sehr aktiv um den Nachwuchs und unsere Attraktivität als Arbeitgeber kümmern. Wir nehmen an Kontaktbörsen der Hochschulen teil, Studierende können als Werkstudentin oder -student arbeiten, Themen für Bachelor- oder Masterarbeiten werden vergeben. Wenn die Studierenden das Unternehmen kennen und das Branding als attraktiver Arbeitgeber erfolgreich war, entsteht ein Automatismus, und die Abgängerinnen und Abgänger bewerben sich bei uns.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ja, BIM kann helfen, die Arbeitsprozesse zu verschlanken und effektiver zu gestalten, doch es bedarf einer großen Vorarbeit und wird leider an den Hochschulen noch viel zu wenig ausgebildet. Wir müssen, oft noch während der Projekte, intensiv in BIM schulen. Doch wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst einmal gewohnt sind, mit BIM zu arbeiten, ist das traumhaft.
BIM hilft, ist aber nicht die alleinige Lösung?
Fakt bleibt, dass wir überall mehr Personal brauchen. Heute ist es so, dass schon die Auftraggeber personell nicht stabil genug aufgestellt sind, um die Projektausschreibungen gut vorbereitet in den Markt zu geben. Das ist die erste Hürde. Die zweite Hürde ist der Personalmangel in den Planungsbüros: Planer können die Angebote nicht erstellen, weil sie voll ausgelastet sind. Und als dritte Hürde hat dann auch die Bauausführung ebenfalls nicht die notwendigen Kapazitäten.
Eine Bauausführung ist lokal gebunden, doch kann die Planung nicht auch mit Vergaben an Planungsbüros in anderen Ländern, Indien etwa, beschleunigt werden?
Tatsächlich nutzen viele Unternehmen, darunter auch wir, diese Möglichkeit, allgemein als Offshoring bezeichnet. Es gibt in Ländern wie Indien, aber auch in Osteuropa, fantastisch ausgebildete Menschen, an die Arbeitspakete vergeben werden können. Obermeyer hat unter anderem auch Planungsbüros in Osteuropa.
Ist diese Unterstützung beliebig erweiterbar, d. h., könnte sie den Planungsengpass lösen?
Das ist nicht beliebig erweiterbar. Der begrenzende Faktor hier ist nicht die Personalverfügbarkeit beispielsweise in Indien, sondern die notwendige Arbeitsvorbereitung, die in Deutschland erfolgen muss. Es müssen Arbeitspakete geschnürt werden, die sinnvoll im Offshoring abgearbeitet werden können. Speziell Deutschland ist auch noch die Sprachhürde zu überwinden. In fast allen Ländern außerhalb Deutschlands ist es zumindest zugelassen, an manchen Stellen sogar übliche Praxis, dass man Dokumente in englischer Sprache abgibt. In Deutschland haben wir dagegen die Situation, dass alles in deutscher Sprache verfasst werden muss. Wenn alles hin und her übersetzt werden muss, kommt es unweigerlich zu erheblichen Verzögerungen.
Obermeyer war bei der Gründung des Nationalen Kompetenzzentrums BIM aktiv. Welche Bedeutung hat das Kompetenzzentrum heute noch?
Obermeyer hat sich von Beginn an für BIM eingesetzt. Das Unternehmen war beispielsweise in den 1990er Jahren Gründungsmitglied bei der entsprechenden Initiative Building Smart und immer vorne dabei bei der Digitalisierung der Arbeitsmethoden. Das Kompetenzzentrum ist eine hervorragende Initiative, die zum einen die Bedeutung von BIM für das Bauen bestätigt und zum anderen sich der großen Aufgabe der Standardisierung annimmt. In der Vergangenheit hat sich jeder seine eigenen BIM-Modelle gestrickt – das Rad wurde jedes Mal wieder neu erfunden. Das ist nicht effektiv. Deutschland ist auch bei BIM viel zu kleinteilig unterwegs. Wenn ein Standard fehlt, wenn Auftraggeber, Planer und Bauausführende jeweils ein anderes Verständnis von BIM haben, werden im Extremfall wieder zweidimensionale Pläne verwendet. Das ist absurd. Deshalb sind wir sehr froh, dass es das Nationale Kompetenzzentrum gibt und engagieren uns dort sehr gerne.
In einem Vortrag forderte der Präsident des Eisenbahn-Bundesamtes, Gerald Hörster, kürzlich, dass BIM-Daten nicht nur bei aktuellen Projekten gesammelt werden, sondern rückwirkend auch für ältere Infrastruktur vorliegen sollten. Sehen Sie auch diese Notwendigkeit? Was würde dies bringen, und ist dies überhaupt machbar?
Der Gedanke ist richtig – nur so bekommen wir digitale Zwillinge der kompletten Infrastruktur. Doch BIM erfordert einen umfassenden Input in guter Datenqualität. Denn BIM kann nur so exakt sein wie die Daten, die verwendet werden. Es ist ein immenser Aufwand, die digitalen Ausgangsdaten, die sogenannte Bestandsmodellierung, zu erstellen, besonders bei der Planung von langen Strecken. Es gibt eine Vielzahl historischer Daten; teils liegen sie schon digital, teils noch analog vor. Diese müssen zusammengeführt werden. Hinzukommt, dass in der Vermessung durchaus unterschiedliche Georeferenzsysteme verwendet werden. Diese müssen in Einklang gebracht werden. Oft sind auch die Daten, die uns vorliegen, nicht zu 100 % genau.
Es ist also schon bei aktuellen Projekten sehr komplex und sehr zeitraubend, die notwendigen BIM-Modelle zu erstellen – zusätzlich noch BIM-Modelle des Bestandes in einer so hohen Qualität zu erstellen, dass man im Bedarfsfall gleich damit planen kann, wäre ein immenser Kraftakt. Und wer würde das bezahlen?
Ja, es wäre sinnvoll und erstrebenswert, die BIM-Daten auch für den Infrastrukturbestand vorliegen zu haben. Doch angesichts der zuvor angesprochenen dünnen Personaldecke ist der notwendige Kraftakt augenblicklich kaum vorstellbar.
Mich wundert, dass verschiedene Georeferenzsysteme verwendet werden. Ist das neu und wenn nein, hat das nicht schon zuvor zu Problemen geführt?
Planungsgrundlagen für unsere Projekte, sowohl konventionell geplant als auch mit BIM, stammen aus den unterschiedlichsten Datenquellen. Beispielsweise nutzen wir Vermessungsdaten von Landesvermessungsämtern, Umweltdaten von Umweltämtern in den Bundesländern, Leitungsdaten aus den Datenbeständen der unterschiedlichen Spartenträger, Katasterdaten von Vermessungsämtern oder Grundbuchämtern und verschiedenste Bestandsdaten aus den Systemen unserer Auftraggeber.
Diese Daten liegen in unterschiedlichen Lage- und Höhensystemen vor, beispielsweise DB_REF bei der Deutschen Bahn, oder Referenzsysteme wie Gauss-Krüger, UTM oder WGS84. Um ein zusammenhängendes Gesamtbild des Projektgebiets als Planungsgrundlage, also das Bestandsmodell, zu erhalten, müssen diese unter schiedlichen Daten in ein einheitliches Georeferenzsystem (Lage, Höhe) überführt, d. h. transformiert werden. Tatsächlich ist das nicht allein ein BIM-Thema. Es gab dieses Problem bereits im konventionellen Projektgeschäft. Dort hat man es jedoch oftmals ignoriert, weil die Daten dort getrennt gehalten und nicht zu einem großen Gesamtbild zusammengeführt wurden. Dies hat dann später im Planungsprozess nicht selten zu großen Schwierigkeiten geführt. Im Rahmen von BIM-Projekten wird stattdessen sehr viel Wert darauf gelegt, als Planungsgrundlage ein Gesamtbild der Bestandssituation in Form eines Bestandsmodells mit allen verfügbaren Daten zu schaffen. Deshalb kommen die Probleme mit den unterschiedlichen Georeferenzsystemen hier stärker zum Tragen.
Wie zufrieden sind Sie mit der Verfügbarkeit von digitalen Vermessungsmethoden? Obermeyer war an der Entwicklung des Vermessungszugs EM100VT, weiterentwickelt zu EM120VT, beteiligt. Wie hat sich dies bewährt?
Grundsätzlich erfolgte bis vor kurzem Vermessung immer statisch. Das dauert zum einen seine Zeit, zum anderen müssen bei einer statischen Streckenvermessung die Gleise immer, zumindest abschnittweise, gesperrt werden. Dies ist aufwendig, denn die Fahrpläne müssen geändert und die Umleiter zugewiesen werden. Bei einem Vermessungszug, der mit 80 bis 100 km/h im Gleis fahren kann, entfällt die Streckensperrung.
Mittlerweile sind die mit einem Vermessungszug erfassten Daten qualitativ sehr gut, d. h., diese kinematisch digital erfassten Daten sind in der Qualität vergleichbar mit den digitalen Daten, die statisch erfasst werden. Der große Vorteil bei einem Vermessungszug ist natürlich die Geschwindigkeit, mit der man im laufenden Betrieb große Datenmengen gewinnen kann. Das System hat sich meines Erachtens bewährt, und es gibt ein großes Interesse bei Kunden, diese kinematische Datenerfassung zu nutzen. Ein Nebeneffekt ist, dass wir mit solch einem Vermessungszug auch den Zustand der Infrastruktur erfassen können. Wenn wir also eine Strecke mit solch einem Vermessungszug abfahren, erfasst er nicht nur die reinen Daten für die Bestandsmodellierung, sondern auch akute Probleme in der Infrastruktur, wenn beispielsweise die Gleislage nicht mehr korrekt ist.
Sind auch Drohnen ein Thema?
Drohnen sind natürlich ein Thema. Ihr großer Vorteil ist die Perspektive von oben. Aus meiner Sicht können Drohnen nicht das Gesamtpaket liefern, aber sie sind eine wichtige Ergänzung zu den statischen oder kinematischen Vermessungsmethoden.
Das größte Neubauprojekt in Europa ist augenblicklich die Rail Baltica. Obermeyer hat in einem Konsortium mit einem spanischen Partner Planung und Bauaufsicht für 213 km erhalten. An diesem Beispiel: Welche Chancen und Herausforderungen liegen in der Zusammenarbeit von Partnern aus unterschiedlichen EU-Ländern?
Ich habe in meinem Berufsleben immer sehr international gearbeitet. Aus meiner Sicht macht es absolut Sinn zu kooperieren, besonders bei Großprojekten. In jedem Land werden andere Erfahrungen gemacht, und jedes Land und jedes Unternehmen bringt sehr unterschiedliche Kernkompetenzen mit. Auch die Kulturunterschiede spielen eine wichtige Rolle. Spanien ist sehr stark im Eisenbahnwesen – wenn man die unterschiedlichen technischen Erfahrungen gemeinsam nutzen kann, ist dies eine Win-win-Situation. Das kam uns bei der Rail Baltica zugute, wenn sich auch das Projekt insgesamt leider verzögert.
Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?
Entspannung ist wichtig – der Kopf muss immer wieder frei werden. Entspannung bedeutet für mich, mit meiner Frau zusammen zu sein, mit meiner Familie, meinem ersten Enkelkind und unserem Hund. Außerdem fahre ich am Wochenende gerne Rennrad und habe auch, etwas stereotypisch für einen deutschen Ingenieur, eine Modelleisenbahn unterm Dach und Oldtimer in der Garage.
Das Interview aus Eisenbahntechnische Rundschau 4/2023 führte Dagmar Rees.