Jens Bergmann: Effizienter werden
Jens Bergmann ist seit 1. Oktober 2019 Vorstand Großprojekte und Netzplanung bei DB Netz. Innerhalb der kommenden fünf Jahre steigt das Bauvolumen von DB Netz von 2 auf 3,5 Mrd. EUR pro Jahr. Sein Weg: Ressourcen wertschöpfend einsetzen.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie augenblicklich auf die Bautätigkeit von DB Netz aus?
Wir sind sehr froh sagen zu können: Die Bautätigkeiten gehen weitgehend uneingeschränkt weiter. Derzeit gibt es bei uns keine Pläne, Baumaßnahmen zu verschieben und wir setzen alles daran, die Zeitpläne einzuhalten. Für unsere Auftragnehmer gelten selbstverständlich sämtliche behördlichen Regelungen zur Eindämmung der Übertragung des Corona-Virus. Wir sind in enger Abstimmung mit den bauausführenden Unternehmen und Verbänden. Sollte es zu einzelnen Engpässen kommen, suchen wir nach partnerschaftlichen Lösungen.
Was passiert, wenn Bautätigkeiten länger unterbrochen werden?
Zum Glück ist das aktuell nicht der Fall. Sollte es doch zu einer längeren Unterbrechung von Bauarbeiten kommen, muss die Eintaktung der Baumaßnahmen in den Fahrplan neu aufgesetzt werden. Dies ist ein kompliziertes Unterfangen.
Stand Mitte April: Wie lange wurden die Bauarbeiten unterbrochen und wie lange dauert die neue Eintaktung in den Fahrplan?
Bislang mussten wir die Arbeiten nur bei einem guten Dutzend von über 1500 Baustellen unterbrechen. Teilweise konnten wir die Arbeiten auch schon wieder starten. Und wir tun gemeinsam mit unseren Partnern alles dafür, dass die Lage so stabil bleibt. Natürlich kann keiner eine einhundertprozentige Garantie geben, dass wir für die gesamte Dauer der Krise – von der ja noch niemand sagen kann, wie lang sie sein wird – keine coronabedingten Einschränkungen auf Baustellen erleben werden. Falls es doch dazu käme, wären die Dauer der Unterbrechung und die neue Eintaktung in den Fahrplan immer von der Art und dem Fortschritt des Bauprojektes abhängig. Bei einer großen Baumaßnahme kann eine zweiwöchige Verzögerung schon zu einer Verschiebung der Baufertigstellung um ein halbes Jahr führen. Bis eine neue Planung aufgesetzt ist, kann es mehrere Wochen dauern.
Die Finanzierung der Projekte hängt auch von Eigenmitteln der DB ab. Durch die Maßnahmen der Coronavirus-Abwehr gehen der DB insgesamt und auch DB Netz durch Stornierung von Trassen beträchtliche Einnahmen verloren.
Die Corona-Pandemie wird sich ohne Zweifel in unseren Ergebnissen niederschlagen. Doch der DB-Eigenmittel-Anteil in den Projekten ist begrenzt. Bei Neu-und Ausbauprojekten beispielsweise tragen wir als DB im Schnitt aus Eigenmitteln 7 % bei. Beim Bestandserhalt, also unter dem Schirm der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, liegt der Eigenmittel-Beitrag bei etwa 2 %. Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass die Umsatzverluste durch die Coronavirus-Pandemie einen Einfluss auf die Realisierung der Bauprojekte haben werden. Außerdem hat die Bundesregierung angekündigt, dass sie im Hinblick auf die Corona-Pandemie die Investitionen verstärken wird und dabei auch der Eisenbahnsektor begünstigt wird. Deshalb erwarte ich, dass die Investitionsmittel in ausreichender Menge zur Verfügung stehen werden.
Sie haben vor einem guten halben Jahr Ihre neue Aufgabe übernommen. Was wollen Sie beibehalten, was wollen Sie verändern?
Lassen Sie mich einen Schritt zurückgehen. Ich bin 2013 neu zur Bahn gekommen. Damals hatten wir rund 1 Mrd. EUR pro Jahr in Neu- und Ausbauvorhaben investiert. Bis 2019 konnten wir den Betrag gemeinsam mit dem Bund auf 2 Mrd. EUR verdoppeln. In den kommenden fünf Jahren soll diese Summe noch einmal um das Anderthalbfache gesteigert werden, also auf 3,5 Mrd. EUR/Jahr. Diesen Investitionshochlauf haben wir vorbereitet. In 2019 sind sehr viele Baumaßnahmen gestartet worden. Wir haben ein großes Bauvolumen vor uns und sind gut unterwegs.
Reichen die Ressourcen aus, um dieses erheblich erhöhte Bauvolumen auch umsetzen zu können?
Wir haben schon in den letzten Jahren bewiesen, dass wir die Investitionen umgesetzt bekommen. In der LuFV gelingt uns das fast auf den Euro genau. Aktuell werden überall weitere Kapazitäten aufgebaut: bei der DB, beim Eisenbahn-Bundesamt, in der Bauindustrie und in den Planungsbüros. Wir müssen zusätzlich dafür sorgen, dass die vorhandenen Ressourcen auch wirklich wertschöpfend eingesetzt werden. Das heißt, wir müssen unsere Prozesse anders gestalten, um noch effizienter zu werden.
Wo setzen Sie an, um Prozesse effizienter zu machen?
Wir müssen erreichen, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur für jene Aufgaben einzusetzen, die wirklich nur Menschen erledigen können. Deshalb brauchen wir die Digitalisierung auf der Baustelle. Die Erfassung von Bauzuständen und -mängeln muss digitalisiert und automatisiert werden, denn Bau-Überwacher sind eine knappe Ressource. Das heißt, das digitale Planen und Bauen, also BIM, muss breit in der Fläche ausgerollt werden. Wir brauchen die flächenhafte Einführung digitaler Planung und digitaler Baubegleitung, um mit der dadurch gewonnenen Manpower dann das gestiegene Bauvolumen bewältigen zu können.
Der Stufenplan des BMVI sieht vor, dass ab Ende dieses Jahres alle großen Projekte in BIM geplant werden müssen. Bedeutet dies für die Großprojekte zusätzlichen Aufwand oder Effizienzgewinn?
BIM wird unsere Planung erheblich vereinfachen, weil ein Planer mit BIM ein zu planendes Objekt, etwa ein Signal oder eine Weiche, aus seinem digitalen Regal nehmen und in seine Planung einbauen kann, mit allen damit zusammenhängenden Attributen. Das führt nicht nur zu einer im Einzelnen schnelleren Planung, sondern auch zu einer Wiederholbarkeit von Planung. Damit können zusätzlich Ressourcen gespart werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass eventuelle Planungskonflikte früher erkannt und damit beseitigt werden können.
Wodurch werden eventuelle Konflikte in der Planung früher erkannt?
Bislang wurden die Planungen der einzelnen Gewerke nur in längeren Zeitabständen miteinander abgeglichen. Dieses Zusammenführen geschieht in BIM jetzt in Echtzeit. Dadurch erkennen wir viel früher, wo eventuell Konflikte entstehen könnten. Durch die digitalen Instrumente können wir auch die Planungsbegleitung des Eisenbahn-Bundesamtes wesentlich vereinfachen.
Oft ist es so, dass sich die einzelnen Geschäftspartner nicht gerne in die Karten schauen lassen. Das Konzept des freien Datenaustauschs, also Open Data, stößt durchaus auf Widerstand in der Wirtschaft.
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir transparenter arbeiten wollen, müssen wir partnerschaftlicher zusammenarbeiten. Niemand wird seine Bücher komplett öffnen, wenn er nicht sicher sein kann, dass der Umgang miteinander fair ist.
Beim Bauen partnerschaftlich zusammenarbeiten – was bedeutet dies gegenüber heute?
Partnerschaftliches Bauen beruht darauf, dass man allen Beteiligten die Grundlagen der Planung transparent darlegt, damit alle die Risiken des Bauvorhabens abschätzen können. Darauf aufbauend können gemeinsam die besten Lösungen entwickelt werden. Dazu bedarf es aber auch neuer Vertrags- und Vorgehensmodelle, die wir gerade gemeinsam mit der Industrie und mit dem Bund entwickeln.
Heißt das, dass von Anfang an allen Beteiligten klar ist, wie die Verantwortung verteilt ist und wie bei Konflikten nach Lösungen gesucht wird?
Genau so. Natürlich müssen die Verantwortlichkeiten klar geregelt sein. Durch die Offenlegung aller Informationen sinkt jedoch das Risiko, das jeder einzelne hat. Damit kann man verlässlicher kalkulieren, d. h. wir werden auch das Problem der Kostensteigerung besser in den Griff bekommen. Außerdem wird die Zuverlässigkeit in der Baudurchführung steigen. Das ist gerade dort, wo wir mitten im Eisenbahnbetrieb bauen, enorm wichtig. Nicht zuletzt ermöglicht partnerschaftliches Bauen, dass alle Beteiligten Freude an ihrer Arbeit haben können. Ich kenne keinen auf der Baustelle, der Lust hat, sich zu streiten.
Tatsache ist jedoch, dass Streiten zum Alltag bei Baustellen gehört.
Wenn man heute beim Bau auf ein Problem stößt, zieht sich jeder erst einmal in seine Ecke des Boxrings zurück und wartet, dass der andere aus seiner Ecke herauskommen muss. Das haben alle Beteiligten seit Jahren so geübt.
Woran liegt dies? Gibt es keine Fehlerkultur, so dass jeder die Schuld erst mal beim anderen sucht?
Das liegt sehr stark an der Art und Weise, wie unsere Verträge gestaltet sind. Laut Vertrag schuldet der Auftragnehmer, also die Bauindustrie, eine Leistung. Wenn der Auftragnehmer nicht alle Risiken überblickt, hat er sicher Risikoaufschläge in seiner Kalkulation. Doch alles lässt sich nicht abschätzen. Deshalb fragt jeder, wenn ein Problem aufritt, zuerst, wessen Risiko-Sphäre das Problem zuzurechnen ist. Darüber kann man sich beliebig lange streiten, denn letztendlich geht es um Geld und die Frage, wer zahlen muss. Statt unsere Energie darauf zu verwenden, diese Claims zu bearbeiten oder einen Schuldigen zu finden, sollten wir unsere Energie besser dafür einsetzen, Lösungen für das Problem zu finden. Höchstmögliche Transparenz von Anfang an sorgt dafür, dass eventuelle Probleme früher erkannt und dadurch auch früher Lösungen gefunden werden. Dass man also nicht erst, wenn man direkt vor einer Mauer steht, darüber nachdenkt, wie man darüber kommt. Wir sind uns mit der Industrie einig, dass wir das ändern wollen. Denn die komplexen Vorhaben, die wir bewältigen wollen, brauchen innovative Lösungen. Da kommen wir mit tradierten Verhaltensweisen nicht weiter.
Aus der Bauindustrie hört man oft, dass Ausschreibungen so gestaltet sind, dass keine Innovationen möglich sind, selbst wenn diese zu einer besseren Wirtschaftlichkeit beitragen könnten.
Innovationen zu ermöglichen ist integraler Bestandteil unseres neuen partnerschaftlichen Ansatzes beim Planen und Bauen. Modelle hierfür gibt es beispielsweise in Skandinavien. Dort kommt schon sehr früh, noch vor einer Ausschreibung, ein Team aus Bauherrn, Planern und mehreren Bauunternehmen zusammen. Alle potentiellen Auftragnehmer erhalten die gleichen Informationen und jeder kann sagen: „Ich habe eine innovative Idee, mit der ich die Bauzeit verkürzen, Qualität sicherstellen oder Kosten reduzieren kann.“ Für diese Leistung werden die Planer und Bauunternehmer entgolten, unabhängig davon, wer später den eigentlichen Bauauftrag bekommt. In der Planungsphase ist der Aufwand zwar etwas größer, doch man gewinnt eine große Klarheit, welche Bauverfahren möglich sind. Gerade bei komplexen Großprojekten halte ich dies für den richtigen Weg in die Zukunft.
Finden Sie ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Wir können im Augenblick gut rekrutieren. Hier hilft uns sehr die öffentliche Diskussion um die Relevanz der Bahn im Zuge des Klimaschutzes. Es gibt heute sehr viele Menschen, die sich für die Bahn interessieren, weil sie etwas Sinnvolles tun wollen.
Die Bahn als Verkehrsträger wird gern benutzt, doch wenn Bahninfrastruktur gebaut werden soll, gibt es häufig heftigen Widerstand. Merken Sie, dass das verbesserte Image der Bahn durch die Klimaschutzdiskussion und jetzt auch durch die Aufrechterhaltung der Logistik während des Corona-Lockdowns sich auf die Bereitschaft der Bevölkerung auswirkt, Bahn-Bauprojekte zu akzeptieren?
Für die Bevölkerung als Ganzes ist das schwierig zu beurteilen. Ich merke jedoch sehr klar, dass der politische Rückenwind für die Bahn deutlich zugenommen hat. Beim Abwägen zwischen dem Schutz der Interessen des Einzelnen und dem Interesse des Gemeinwohls wiegt das Gemeinwohl stärker als früher.
Dort, wo wir ganz lokal, zum Beispiel für neue Verkehrsangebote tätig werden, gibt es durchaus großen Zuspruch. Hier ist der Vorteil für die Bürger leicht zu vermitteln.
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Initiativen gibt, die sich für große Infrastrukturvorhaben einsetzen, denn sie sind das Rückgrat unserer Mobilität und unserer Wirtschaft. Doch auch bei den Gegnern sind die Argumente heute wesentlich differenzierter als in der Vergangenheit.
Schwieriger wird es bei Projekten wie Ausbau für den Güterverkehr.
Hier gebe ich Ihnen recht. Aber auch hier setzen wir darauf, den Menschen zu vermitteln, dass ein Neu- oder Ausbau Vorteile bringen kann. So realisieren wir besseren Lärm- und Erschütterungsschutz, teilweise sind durch neue Strecken auch Umfahrungen von dicht besiedelten Gebieten möglich. Wenn wir die Leistungsfähigkeit einer Strecke erhöhen, finden die neuen Emissionsschutzbestimmungen Anwendung.
Wird es weiter keine reinen Güterverkehrsstrecken geben, wie sie z. T. in anderen Ländern gebaut werden?
Reine Güterverkehrsstrecken wird es nicht geben. Doch durch Neubau schaffen wir im Bestandsnetz Platz, um die Verkehre flexibler zu lenken und zu entmischen. Das bringt betrieblich deutliche Vorteile.
In Deutschland sind 9000 Eisenbahnbrücken älter als 100 Jahre. Wie kommt die Brückensanierung voran?
Es gibt bei uns nur zwei Betriebszustände: entweder etwas ist sicher oder es ist aus, wird also nicht mehr befahren. Wir haben ein sehr engmaschiges Brücken-Monitoring und kategorisieren den Zustand der Brücken danach, ob sie sanierungsfähig sind oder ob wir eine neue Brücke bauen müssen. Auch bei der Brückensanierung entwickeln wir effizientere Prozesse. So haben wir beispielsweise Standardbauteile für Brücken mit Spannbreiten bis 16 m geschaffen oder wir entwickeln Wannenaufsätze für ältere, im Kern gesunde Backsteinbrücken, bei denen es nur darum geht, das Eindringen von Wasser von oben zu verhindern. Durch diese Standardisierungskonzepte, zusammen mit der Bauindustrie entwickelt, sind wir sehr leistungsfähig geworden. Allein in den letzten 5 Jahren haben wir 900 Brücken saniert oder neu errichtet. Wir kommen also gut voran.
Eine private Frage: wie entspannen Sie sich?
Ich bin verheiratet und wir sind Eltern von drei Kindern. Da sind An- und Entspannung schon vorgegeben. Außerdem bin ich Ausdauersportler: Laufen, Mountain-Biken, Skifahren. Ich bin auch ein sehr politischer Mensch. Ich informiere mich regelmäßig, lese gerne Bücher, studiere die Zeitungen und führe gerne Diskussionen. Ich höre gerne Musik. Und gelegentlich schlafe ich auch.
Das Gespräch führte Dagmar Rees.
Das Interview stammt aus der Ausgabe Eisenbahntechnische Rundschau 5/2020