Interviews

Ingo Winkler

Die 3. Ära der Computer

Daten zu haben ist heute kein Problem mehr. Ihre Auswertung ist jedoch immer noch aufwändig, weil Daten bisher erst sinnvoll nutzbar sind, wenn sie über Algorithmen in Bezug gesetzt werden. Der Watson von IBM ändert dies.


1. IBM hat mit Watson einen selbstlernenden, einen sogenannten kognitiven Computer entwickelt. Was unterscheidet diesen Computer von anderen Computern auf dem Markt?
Watson ist in der Lage, Daten aus den unterschiedlichsten Quellen und den unterschiedlichsten Formaten, also auch Video, Audio, Sensordaten oder handschriftliche Texte, mit enormer Geschwindigkeit zu verarbeiten und dabei mit Menschen in natürlicher Sprache zu interagieren. Basis dieser neuen Fähigkeiten ist eine neue Generation von Algorithmen und Mensch-Maschine-Schnittstellen, so genannten APIs. Watson verfügt über mehrere Dutzend solcher APIs, die auf über 50 verschiedene Technologien zugreifen können. Dazu gehören unter anderem semantische Analysen, Bild-, Gesichts- und Spracherkennung oder Geo-Positionierung. Diese Vielfalt bietet keine andere AI-Plattform. Sie liefern die Basis für die nächsten Schritte: Daten zu erkennen und zu verstehen, sie auszuwerten und sie schließlich im Rahmen von Trainings und im ständigen Dialog mit Menschen in einem bestimmten Kontext einzuordnen, zu interpretieren und dabei auch dazuzulernen.


2. Was ist der Vorteil eines kognitiven Computers gegenüber bisherigen Systeme, die ja schon mit sehr ausgefeilten Algorithmen arbeiten?

Rund 80 Prozent aller Daten sind für herkömmliche Computer nicht verwertbar, weil sie nicht gelesen und verarbeitet werden können. Kognitive Systeme können nicht nur strukturierte und unstrukturierte Daten gleichermaßen verarbeiten, sondern können dabei auch Muster erkennen, Korrelationen und verdeckte Zusammenhänge herstellen und damit auch ein eigenes Verständnis für Themen oder Sachverhalte entwickeln. Diese Systeme arbeiten nicht mehr nach dem deterministischen Ja/Nein-Prinzip, sonden wägen ab: welches Ergebnis ist das wahrscheinlich richtigste, welche Maßnahme ist mehr oder weniger erfolgsversprechend, welche Diagnose die wahrscheinlich zutreffendste? Im Feedback-Training lernen Systeme wie Watson kontinuierlich dazu. Ihr Verständnis wird größer, die Hypothesen präziser. Watson lernt – wie wir Menschen – aus Fehlern und Erfolgen, zieht Rückschlüsse, erkennt Muster und gibt immer bessere Antworten.


3. Wenn man als Kunde Watson nutzt, muss man dann mit einer „Anlernzeit“ rechnen, in der der Computer viele Fehler macht?
Tatsächlich arbeitet Watson mit Wahrscheinlichkeitshypothesen: er wägt ab und schlägt unterschiedliche Optionen vor. Das kann er umso besser, je intensiver er von Menschen trainiert wird, je mehr Feedback er auf seine Beobachtungen, Interpretationen und Ergebnisse bekommt. Doch Watson lernt mittlerweile sehr schnell dazu. Infolgedessen haben sich die „Anlernzeiten“ bereits ganz erheblich verringert. Zudem bieten wir bereits vorkonfigurierte Watson-Apps, die schon ein sehr hohes Grundverständnis für eine bestimmte Aufgabe mitbringen und damit nur noch wenig zusätzliches Training benötigen.


4. Wie wäre Watson im Sektor Eisenbahn einsetzbar?
Vielfältig. Da Watson Sprache versteht und auch gelernt hat, Stimmungen des Sprechenden und Schreibenden zu verstehen, könnte das System beispielsweise im Beschwerdemanagement eingesetzt werden. Oder aber in der Fahrplanauskunft und Reisebegleitung Aufgaben erledigen. Watson könnte zum Beispiel auf die Frage: „An welchen Ort, an dem die Sonne scheint, könnte ich morgen fahren?“ eine ausführliche und ganz auf den Nutzer zugeschnittene Antwort geben. Ein anderer großer Anwendungsbereich ist die Wartung, etwa im Bereich der sogenannten Condition Based Maintenance. Dabei kann ein kognitives System Störfälle, Sensordaten und andere Informationen wie Luftfeuchtigkeit oder von Menschen geschriebene Wartungsprotokolle verknüpfen und so Muster erkennen, die dazu dienen, genauer vorhersagen zu können, wann eine Komponente gewartet werden muss.


5. Das hört sich gut an, aber auch wie Zukunftsmusik an. Gibt es schon konkrete Beispiele?
Wir haben Watson mit seinen kognitiven Elementen in sehr unterschiedlichen Projekten bei Eisenbahnverkehrsunternehmen eingeführt: Konkrete Beispiele sind hierbei die Auswertung von Sensordaten, unter anderem Temperatur-, Gewichts- oder Akustik-Daten im Bereich vorausschauender Wartung oder das frühzeitige Erkennen von Fehlermustern. Aber auch in der automatisierten Kommunikation bei Call Centern oder Services Desks wird die Watson Technologie erfolgreich eingesetzt – und natürlich in der Kundeninteraktion, sprich bei multimodalen Reiseplanern, wie wir sie in mehreren Projekten beispielsweise in Frankreich bereits umgesetzt haben.


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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 10/16
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 10/16