Interviews

Gerald Hörster

"Wir werden die Unternehmens­überwachung intensivieren"

 

Die Rolle des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) ändert sich durch das neue Zulassungsgesetz und die Einrichtung einer europäischen Zulassungsbehörde. ETR sprach mit EBA-Präsident Gerald Hörster, was sich in Bonn ändert und was bleibt.

Nach Inkrafttreten des Zulassungsgesetzes – wie funktioniert jetzt die Zulassung von Fahrzeugen?
Vorgeschaltet zur Entscheidung des Eisenbahn-Bundesamtes werden von uns anerkannte Bewertungsstellen, u. a. sogenannte „Designated Bodies“ tätig. Sie befassen sich im Auftrag des Herstellers etwa mit der Einhaltung der europäischen wie der nationalen Regelungen. Der Antragsteller fasst die Zertifikate dieser Stellen zusammen, legt sie dem Eisenbahn-Bundesamt vor und erklärt seinerseits, dass die Unterlagen vollständig sind und alle Anforderungen erfüllt werden. Auf dieser Grundlage wird das Eisenbahn-Bundesamt entscheiden. Es überprüft alle vorgelegten Unterlagen auf Vollständigkeit und Eindeutigkeit. Sollten sich Zweifel ergeben, kann es Rückfragen geben.

Die Anforderungen sind klar?
Die Anforderungen an die zuzulassenden Fahrzeuge sind klar. Sie werden in dem Moment festgeschrieben, in denen ein Antragsteller erstmals erklärt, dass er ein Fahrzeug zugelassen haben will.

Die Anforderungen werden fixiert, damit sich im Nachhinein nichts mehr ändern kann.
Es gibt einen festen Anforderungskatalog sowie einen Nachweisplan, den der Hersteller erarbeitet und mit uns abstimmt. Damit hat der Antragsteller für die Entwicklung des Fahrzeugs Planungssicherheit.

Wie lange dauert der Prozess?
Der reine Zulassungsprozess wird nicht sehr lange dauern. Er darf laut Gesetzgeber nur 4 Monate in Anspruch nehmen. Wir haben es auch schon in 48 Stunden geschafft - das setzt aber voraus, dass man das Projekt zuvor intensiv begleitet hat. Wenn man vom Zeitpunkt der Erstellung des Nachweisplans ausgeht, ist die Zeitspanne natürlich viel länger, denn sie beinhaltet auch die Fahrzeugentwicklung. Dies hat nichts mit der eigentlichen Zulassung zu tun. Wir stehen den Unternehmen jedoch schon in diesem Zeitraum für Rückfragen zur Verfügung. Für jedes Verfahren gibt es einen abgestimmten Zeitplan, der absichert, dass wir zum Zulassungszeitpunkt ausreichend Personal vorhalten können. Insofern ist es von Vorteil, wenn die Unternehmen die zugesagten Meilensteine auch einhalten. Denn Prüfung auf Eindeutigkeit und Vollständigkeit heißt nicht, dass wir einfach nur unseren Stempel auf die Unterlagen drücken. Wir prüfen sehr wohl, ob der Anforderungskatalog tatsächlich abgearbeitet wurde. Auch prüfen wir, ob die vorgelegten Nachweise wirklich zu einem eindeutigen Ergebnis kommen.
In der Vergangenheit hatten wir oft Fälle, in denen Hersteller gutachterliche Stellungnahmen vorgelegt haben, die aussagten, dass das Fahrzeug sicher betrieben werden kann, aber nur unter den Voraussetzungen 1 bis 37. Was sollen wir mit so einer Bestätigung anfangen? Im Kern sagt sie doch aus, dass die Anforderungen gerade nicht erfüllt sind. Das führte dann häufig zu langwierigen Diskussionen. So etwas geht nun nicht mehr. Der Antragsteller muss sein Betriebskonzept darstellen und die unabhängige Bewertungsstelle eindeutig sagen: Ja, erfüllt die Anforderungen. Nein, erfüllt sie nicht.

Dann kann so etwas wie die erheblich verzögerte Zulassung der Bombardier-Fahrzeuge in Berlin nicht mehr passieren?
Das sollte dann nicht mehr passieren. Ich möchte jetzt nicht mehr diese alte Diskussion mit Bombardier aufrollen. Aus unserer Sicht waren die technischen Anforderungen jederzeit klar.  Als wir bestimmte Punkte vertieft geprüft haben, hat sich jedoch gezeigt, dass über das geeignete Nachweisverfahren offenbar Unklarheit bestand. Ich hoffe, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt.

Aktuell ist die Inbetriebnahme von VDE 8.2 im Dezember gefährdet, weil das EBA die Feste Fahrbahn auf den Brücken nicht zulässt.
Hier hat sich die Deutsche Bahn bei der Festen Fahrbahn für die Verwendung einer bisher auf Brücken nicht zugelassenen Bauart entschieden. Wir müssen sehen, wie wir damit umgehen. Das Problem ist der Zeitdruck.

Man wundert sich etwas – hätte man das nicht früher klären können?
Wir wundern uns auch. Das Bauen der Festen Fahrbahn ist ja kein Hexenwerk. Es gibt viele zugelassene Bauarten. Doch die Deutsche Bahn wählte einen anderen Weg. Sie nennt es Innovation, wir sehen es eher als abgespeckte Billigvariante. Die Bahn muss ein Konzept entwickeln, wie sie dieses System sicher beherrschen will. In dieser Frage sind nicht wir in der Pflicht, sondern die DB. Sie ist über einen längeren Zeitraum wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die Bedingungen für die Typzulassung nicht erfüllt sind. Auch wir bedauern, dass in dieses Projekt, das ja nun schon lange genug andauert, noch einmal Schwergang kommt.

Sie müssen für die Sicherheit sorgen.
Wir haben aus Bundessicht zwei Interessen. Wir wollen Sicherheit – die kann man eventuell auch dadurch erreichen, dass ergänzende Überwachungsregime eingeführt werden, die den Zugverkehr stoppen, wenn sich Probleme abzeichnen. Doch eigentlich wollte die Bundesrepublik Deutschland mehr: Sie investiert Geld in diese Strecke und möchte die erwartete Lebensdauer von 60 Jahren für die Feste Fahrbahn auch erreicht wissen. Der Bund möchte für sein Geld das Bestmögliche bekommen. Deshalb ist die Kuh auch dann noch nicht vom Eis, wenn ein Überwachungsregime eingerichtet wird, das die Sicherheit gewährleistet.

Für Sie zählt auch die effiziente Verwendung der Mittel?
Das EBA ist mit seiner Abteilung 4 auch bei der Finanzierung der Schieneninfrastruktur eingebunden und wacht darüber, dass Verträge mit dem Bund auch entsprechend eingehalten werden. Die DB hat die Hoffnung, mittelfristig die volle Verwendbarkeit der Festen Fahrbahn auf Brücken nachweisen zu können. Ob es ihr gelingt, darüber wage ich keine Prognose.

Ab welchem Grad der technischen Änderung ist eine Neuzulassung erforderlich?
Auf unsere Anregung hin wird der Anhang 3 der Transeuropäische-Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung (TEIV) überarbeitet. Wir wollen die Schwelle, ab der eine behördliche Neuzulassung bei Änderungen notwendig wird, anheben. Das entbindet die Antragsteller jedoch nicht davon, für die notwendige Sicherheit zu sorgen. Wir erwarten von den Unternehmen ein funktionierendes Sicherheitsmanagement, nicht nur auf dem Papier. Allerdings glaube ich nicht, dass es hier Probleme geben wird. Die Eisenbahnen sind von sich aus schon sehr sicherheitsbewusst.

Die Prämisse, wie Sicherheit zu erreichen ist, verschiebt sich also, weg von der Sicherheit jeder einzelnen Komponente, hin zur Sicherheit des Zusammenspiels, hin zu Sicherheitskonzepten, Risikoeinschätzungen und Risikomanagement.
Genau. Es ergibt keinen Sinn, das ganze Fahrzeug neu zulassen zu müssen, nur weil ein Teil von untergeordneter Bedeutung ausgetauscht wird. Doch der Betreiber muss nachweisbar prüfen, welche Schnittstellen dieses Teil zum übrigen Fahrzeug hat und ob durch den Austausch an anderer Stelle Probleme auftreten können.

Wird die Spirale der Sicherheit nicht immer weiter nach oben geschraubt?
Nein. Unser Sicherheitsniveau ist hoch. Wir schrauben es nicht weiter in die Höhe. Doch es soll auch keine Spirale nach unten geben. Wenn negative Erfahrungen zeigen, dass bestimmte Konstellationen im laufenden Betrieb Probleme bereiten, müssen wir - und damit meine ich den gesamten Sektor - aus Fehlern lernen und dies bei den Zulassungen berücksichtigen.

Je mehr man weiß, desto mehr muss man regulieren.
Man muss Konsequenzen ziehen aus dem, was man erfährt. Sehen Sie die Zulassung einer Technik wie eine Arbeitshypothese: Wir gehen nach bestem Wissen und Gewissen, nach heutigem Kenntnisstand, davon aus, dass die Technik sicher ist. Wenn dann dennoch Probleme auftreten, müssen wir reagieren und unsere Hypothese und damit die Anforderungen ändern. Das ist übliche Praxis in allen Branchen: Wenn eine Komponente in der Luftfahrtindustrie als problematisch erkannt wird, wird sie ohne Diskussion in den Flotten ausgetauscht. Es gibt eine dynamische Betreiberverantwortung – wenn sich die Eisenbahnbranche mit ihr auch etwas schwerer tut als die Luftfahrt.

Verhindern immer neue Sicherheitsanforderungen nicht Innovationen?
Nein. Wir wollen Innovationen nicht verhindern. Es ist durchaus denkbar, dass ein Hersteller eine technische Komponente entwickelt, die nicht den aktuell anerkannten Regeln der Technik entspricht, die aber über einen anderen Weg zum gleich guten, sicheren Ergebnis führt. Wenn der Hersteller uns dies nachweist, reicht es für uns aus.

Ein großes Problem ist, dass noch heute Technik in Europa mehrfach zugelassen werden muss.
Klar ist: Wenn der Verkehrsträger Schiene in Europa eine Chance im Wettbewerb haben will, muss er über Ländergrenzen hinweg fahren können. Doch gibt es historisch gewachsen unterschiedliche Netz-Parameter und unterschiedliche Betriebsregeln. Dies führt dazu, dass es auch heute noch Probleme beim grenzüberschreitenden Verkehr geben kann. Überwunden ist diese Situation schon im Güterverkehr: Güterwagen sind heute europaweit einheitlich zugelassen. Bei den anderen Fahrzeugen werden über die TSI einheitliche Anforderungen gestellt, zusätzlich müssen in den nationalen Netzen vorhandene Besonderheiten durch modifizierte Regeln berücksichtigt werden. Ich hoffe aber, dass sich deren Anzahl weiter reduziert. Mit den meisten Nachbarstaaten hat das EBA zudem Cross-Acceptance-Vereinbarungen abgeschlossen, damit Prüfungen gegenseitig anerkannt werden können. Wir sind also auf dem richtigen Weg, doch bis es Personenverkehrszüge gibt, die durchgängig in 20 Ländern Europas fahren können, wird es noch eine Weile dauern.

Mit dem 4. Eisenbahnpaket soll mehr Zulassungskompetenz in die Europäische Eisenbahn-Agentur ERA verlagert werden. Hat dann das Eisenbahn-Bundesamt weniger zu tun?
Das wird man sehen. Es hängt davon ab, wie die Funktion der ERA letztendlich ausgestaltet wird. Fahrzeuge des grenzüberschreitenden und des internationalen Verkehrs sollen über die ERA zugelassen werden, bei nationalen Fahrzeugen soll es ein Wahlrecht geben. Die ERA soll auch die Sicherheitsbescheinigungen für die international tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen ausstellen. Die Idee einer europäischen Zulassungsbehörde ist nachvollziehbar, wir müssen jedoch abwarten, wie das 4. Eisenbahnpaket nach der Verabschiedung konkret aussieht. Ich sehe im Moment noch nicht, dass wir als Eisenbahn-Bundesamt keine Aufgaben mehr haben werden. Die ERA allein wird die Aufgaben nicht bewältigen können und deshalb mit den nationalen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten.
Wir warnen davor, eine nur scheinbare Zulassung über die ERA einzuführen im Sinne von: „Das Fahrzeug erfüllt alle europäischen Sicherheitsnormen – ob es allerdings ein Netz gibt, auf dem das Fahrzeug tatsächlich sicher fahren kann, wissen wir nicht“. Bei einer solchen Art der Zulassung müssten die Verkehrsunternehmen das, was heute über die nationalen Behörden geregelt wird, mit jedem einzelnen Infrastrukturbetreiber aushandeln. Wir favorisieren stattdessen ein Kooperationsmodell, bei dem die nationalen Behörden mit der ERA und auch untereinander zusammenarbeiten. Im Konfliktfall, d.h. bei Auslegungsfragen, entscheidet bei den europäischen Normen die ERA.

Es gibt jetzt die „Designated Bodies“, die Aufgaben übernehmen, die früher vom EBA übernommen wurden. Wird sich die Behörde deshalb verkleinern?
Wir haben auch in der Vergangenheit schon intensiv mit Sachverständigen zusammengearbeitet, so dass die Auswirkungen eher gering sind. Durch europäisches Recht kommen außerdem verstärkt andere Aufgaben für uns hinzu: Wir werden beispielsweise in den kommenden Jahren die Unternehmensüberwachung intensivieren.

Intensivierung der Unternehmensüberwachung – was bedeutet dies konkret?
Um am öffentlichen Eisenbahnverkehr teilnehmen zu dürfen, brauchen Eisenbahnverkehrsunternehmen eine Sicherheitsbescheinigung, Infrastrukturunternehmen bedürfen einer Sicherheitsgenehmigung. In dem Zusammenhang überzeugt sich das EBA etwa davon, dass ein Unternehmen ein Sicherheitsmanagementsystem aufbaut, konsequent umsetzt und angemessen weiterentwickelt. Hierzu gehört auch, dass es aus seinen Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem laufenden Betrieb eigenständig die richtigen Schlüsse zieht. Dies ist kein einmaliger Vorgang, die Unternehmen müssen regelmäßig re-auditiert werden. Diese Unternehmensüberwachung können wir in Zukunft intensiver durchführen.

Wir sprachen davon, dass Innovationen möglich sein müssen. Ein großes Thema ist augenblicklich das automatische Fahren. Wie sehen Sie dies aus der Sicht des EBA?
Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Automatisches Fahren sollte von der Logik her beim schienengebundenen Verkehr leichter umzusetzen sein als beim motorisierten Verkehr. Man hat jedoch den Eindruck, dass die Straße das Thema momentan etwas dynamischer angeht. Dennoch: ich könnte mir vorstellen, dass wir in einigen Jahren schon viele Beispiele für automatisches Fahren haben. Schon jetzt gibt es ja Systeme wie die Nürnberger U-Bahn, die das umsetzen. Doch bis sich automatisches Fahren auch bei der Eisenbahn etablieren kann, ist noch einiges an Entwicklungsarbeit zu leisten, gerade in Bezug auf die Leit- und Sicherungssysteme. Heute haben der Lokführer und der Fahrdienstleiter in ihren Funktionen noch eine hohe Bedeutung für die Sicherheit.

Würden Sie als Behörde im Vorhinein schon Punkte festlegen, die aus Ihrer Sicht von künftigen Systemen zum automatischen Fahren auf jeden Fall erfüllt werden müssen oder warten Sie ab, was kommt, und entscheiden dann?
Ich sehe eher die Unternehmen, auch die Verkehrsunternehmen, in der Pflicht, zu definieren, was sie wollen. Liegen ihre Konzepte für das automatische Fahren vor, wird man gemeinsam diskutieren, wie man die Anforderungen an die Technik formuliert.

Es treten vermehrt Hersteller, die für die Autoindustrie produzieren, als Anbieter am Markt für Eisenbahntechnik auf. Werden Produkte, die vom Kraftfahrt-Bundesamt schon zugelassen sind, leichter durch das EBA zugelassen?
Das kann durchaus sein, denn in seiner Funktion ist das Produkt schon einmal von einer staatlichen Stelle geprüft worden. Was allerdings durch das EBA zu prüfen bleibt ist die Frage, wie dieses Element dann im Eisenbahnbetrieb wirkt.

Vom Eisenbahn-Bundesamt geht die Bürgerbefragung zu Lärm durch die Schiene aus. Wie sind bisher die Rückmeldungen?
Die erste Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Lärmaktionsplanung wurde Ende Juni abgeschlossen. Die Beteiligung hat unsere Erwartungen erfüllt. Die Ergebnisse werten wir jetzt aus, erstellen den Entwurf eines Lärmaktionsplans und stellen diesen ins Netz, damit Bürgerinnen und Bürger das Verfahren bewerten und Verbesserungsvorschläge machen können. Schließlich werden wir auf der Basis der Kommentierung den Lärmaktionsplan festschreiben. Wobei man ganz klar sagen muss, dass wir nur für die Dinge zuständig sind, die in Bundesverantwortung liegen.

Bei der Bahn ist der Bund für sehr vieles zuständig.
Wir haben Bestandsstrecken, bei denen augenblicklich in Bezug auf Lärmsanierung nichts geplant ist. Dennoch gibt es auch dort Lärm und in der Folge Unmut bei den Anliegern. Auch wenn der erste Lärmaktionsplan des EBA für diese Strecken keine Maßnahmen enthalten wird, muss man die Belastungen für die Bürger registrieren und prüfen, ob nicht die Rahmenbedingungen eventueller zukünftiger Lärmsanierungsprogramme angepasst werden sollten.

Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?
Mit meiner Familie. Ich genieße es, in der Natur zu sein, beispielsweise am Meer spazieren zu gehen oder eine Fahrradtour zu machen. Dies ist ein schöner Ausgleich für die Schreibtischtätigkeit.

(Das Gespräch führte Dagmar Rees.)

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Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 7+8/2015
Artikel von Interview aus der ETR Ausgabe 7+8/2015