Interviews

George Bearfield

Fehler sind Gelegenheiten zum Lernen

George Bearfield ist beim britischen Rail Safety and  Standards Board (RSSB) verantwortlich für den Bereich Bahnsicherheit. Er beschreibt, was die gesamte Branche tun kann, um die Gefahr menschlichen Versagens zu minimieren.

1. Sie haben Anfang Februar eine Studie veröffentlicht, als deren Ergebnis Sie Wege beschreiben, wie ein Überfahren von roten Signalen untersucht werden sollte. Dabei konzentrieren Sie sich auf den menschlichen Faktor. Warum diese Studie?
Der große Unfall in Ladbroke Grove Ende der 1990er Jahre hatte einen großen Einfluss auf die Bahnbranche. Wir sind uns bewusst geworden, dass die Gefahr eines Unfalls aufgrund überfahrener roter Signale immer besteht. Zwar gab es seither in Großbritannien keine Todesfälle mehr aufgrund von Nichtbeachtung roter Signale. Doch jedes Jahr werden rund 300 Signale überfahren – für uns ein Zeichen, dass etwas nicht funktioniert wie geplant. Dabei spielt der menschliche Faktor immer eine große Rolle. Die Menschen, die in der Bahnbranche arbeiten, erbringen ihre Leistungen auf einem sehr hohen Niveau. Wir wollen das System so optimieren, dass gar keine roten Signale mehr überfahren werden. Dazu müssen wir wissen, welche strukturellen Gründe es gibt, wenn Signale überfahren werden.


2. Sie setzen sich in Ihrem Bericht für eine „gerechte Untersuchung“ ein. Was bedeutet das für Sie?
Früher stand bei Untersuchungen der Gedanke an Regelverstöße und ihre Bestrafung im Vordergrund. Langsam hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine solche Herangehensweise nur dazu führt, dass die Menschen alles tun, um die Aufdeckung dessen, was geschehen ist, zu vermeiden. Seitdem hat sich eine „No blame“-Kultur etabliert: Keine Schuldzuweisungen, um sicherzustellen, dass niemand entmutigt wird und sich alle offen an der Aufklärung beteiligen können. Heute setzen wir uns dafür ein, einen Fehler wie das Überfahren eines roten Signals als Gelegenheit zum Lernen anzusehen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer „gerechten Untersuchung“, weil wir es außerdem für unfair halten, alle Schuld dem Fahrer zu geben, wenn es viele, sehr komplexe Ursachen für den Vorfall geben kann.


3. Sie benennen mehrere mögliche Ursachen für ein Überfahren eines roten Signals, die bei einer Untersuchung auf jeden Fall mit betrachtet werden sollen. Welche sind die wichtigsten Ursachen?
Wir haben 10 Schlüsselfaktoren herausgearbeitet, die das Risiko erhöhen, dass rote Signale überfahren werden, unter anderem: Design und Layout der Signale, das Fahrerkompetenz-Management, insbesondere die Kenntnis der Strecke; persönliche Faktoren wie Müdigkeit und der Gesundheitszustand; die Arbeitsbelastung der Triebwagenführer; nicht-technische Kompetenzen; die Art der Kommunikation in Gefahrensituationen und all jene Dinge, die dazu führen, dass überhaupt ein Signal auf Rot gestellt werden muss.


4. Das rote Signal an sich ist ein grundlegendes Problem?

Ja. Die ideale Situation ist die, in der es überhaupt keine roten Signale gibt. Wenn es keine roten Signale mehr gibt, können sie auch nicht überfahren und damit der Verkehr gefährdet werden. Wir wissen, dass die meisten roten Signale dann überfahren werden, wenn sie ansonsten bei fast allen Fahrten auf Grün stehen. Das Ziel muss sein, alles zu tun, dass es so wenig rote Signale wie möglich im Netz gibt, angefangen bei der Fahrplangestaltung.


5. Was sind die Aufgaben des Rail Safety and Standards Board (RSSB)?
Wir sind keine Behörde, sondern ein Teil der Bahnbranche. Wir entstanden aus dem Bedürfnis heraus, nach der Privatisierung der Schiene und dem Entstehen starker, unabhängiger Verkehrsunternehmen eine Einrichtung zu haben, die Fragen der Standardisierung und Sicherheit vorantreibt, die also das System Bahn wieder zusammenbringt.  Wir finanzieren uns zur Hälfte über unsere Mitglieder aus allen Teilen der Bahnbranche, zur anderen Hälfte über Gelder, die wir für unsere Forschung von der Regierung erhalten.

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Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 3/16
Artikel von Interview aus der ETR, Ausgabe 3/16