5 Fragen an Manfred Rieck
Die Entwicklung von Quantencomputern wird von Regierungen massiv gefördert. DB Systel bereitet sich aktiv auf die Zeit der Marktreife vor. Manfred Rieck, Vice President Individual Solution Development, DB Systel GmbH, beschreibt, welche Bahn-Anwendungen profitieren können.
Quantencomputer steigern die Rechenleistung – doch ausgereift ist die Technologie noch nicht. Wo stehen wir augenblicklich?
Es gibt schon Quantencomputer und als Brückentechnologie die Quanten-Annealer. In den vergangenen zwei Jahren gab es nur positive Meldungen: Die Zahl der für die Rechenleistung wichtigen Recheneinheiten (Qbits) steigt schnell, die Systeme stabilisieren sich, es gibt neben den „Großen“ auch schon Nischenanbieter, die funktionsfähige Quantenrechner anbieten. Augenblicklich ist zwar die Rechenleistung noch zu gering, als dass wir große Anwendungen berechnen könnten. Doch wächst bei der Quantentechnologie Rechenleistung exponentiell, da jedes zusätzliche Qbit die Rechenleistung verdoppelt. Bis vor wenigen Jahren ging man noch von 10 bis 20 Jahren bis zur Praxisreife aus, jetzt hat sich diese Spanne schon auf fünf bis zehn Jahre verkürzt.
Welche Bahn-Anwendungen würden Sie berechnen wollen?
Wir erwarten, dass wir mit Quantencomputern zentrale Optimierungsprobleme besser und schneller lösen können. Heute können wir uns beispielsweise bei der Fahrplanerstellung der bestmöglichen Nutzung des Netzes nur annähern – das Optimum für das gesamte Netz mit allen Fahrzeugen können wir noch nicht berechnen. Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Allein für die Aufgabe, eine möglichst kurze Fahrt eines Fahrzeuges durch 20 Städte zu errechnen, bei der alle Städte nur einmal besucht werden und das Fahrzeug wieder an den Ausgangspunkt zurückkehrt („Problem des Handlungsreisenden“), bräuchten wir mit heutigen Rechnern zwei Jahre. Doch umfasst beispielsweise allein unser ICE-Fahrplan nicht nur 20, sondern 154 Städte, und nicht nur ein, sondern 289 Fahrzeuge – eine netzweite Berechnung des Optimums in einer sinnvollen Zeitspanne ist mit heutiger Rechenleistung nicht möglich. Wir erwarten, dass Quantencomputer diese Rechnung ausreichend schnell lösen können. Auch die Personaldisposition sowie die Optimierung des Energienetzes sehen wir als Anwendungsfälle.
Es gibt schon funktionsfähige Fahrpläne – wo wäre der Unterschied?
Der große Unterschied läge in der Schnelligkeit und dass wir das Netz als Ganzes berücksichtigen könnten. Letztendlich könnten uns Quantencomputer ermöglichen, nach jeder Störung in Nahezu-Echtzeit einen optimierten Fahrplan für das gesamte Netz neu zu berechnen. Damit könnte die Kapazität des Netzes besser genutzt werden.
Wie können Sie Praxisbewertungen erarbeiten für eine Technologie, die noch im Werden ist?
Bei DB Systel haben wir ein Team von zehn Quanten-Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen zusammengestellt. Dieses arbeitet im sogenannten PlanQK-Konsortium mit. Das Konsortium implementiert theoretisch entwickelte Quanten-Algorithmen der Wissenschaft in reale Anwendungen in der Industrie. Gleichzeitig fragen wir uns, wie wir einen Übergang der DB-Systeme in die Quantentechnologie vorbereiten können.
Das hört sich beinahe nach Grundlagenforschung an – warum nicht noch warten?
Je mehr die Rechenleistung der Quantencomputer steigt, desto schneller ist der Tag erreicht, an dem die Verschlüsselungstechnologie „Primfaktorzerlegung“, auf der Cybersecurity heute basiert, nicht mehr funktioniert. Wir wollen vorbereitet sein – im Positiven wie im Negativen.