„In der DDR habe ich gelernt, mit begrenzten Ressourcen zu arbeiten“
Jahrzehntelang hat er das Design moderner Züge mitgeprägt, kürzlich ging er in den Ruhestand: Michael Sohn entwarf mit seinen Teams Schienenfahrzeuge wie den Hochgeschwindigkeitszug Zefiro, den Elektrotriebzug Talent 2 oder die Metro der Linie 1 in der chinensischen Stadt Guangzhou (siehe auch die Bilder am Ende des Artikels). In einem Interview blickt er zurück auf seine 33-jährige Karriere als Designer von Zügen.
Der gebürtige Ostberliner, Jahrgang 1957, startete seine Karriere beim Amt für industrielle Formgestaltung der DDR, arbeitete später unter anderem für Adtranz und Bombardier. Zuletzt leitete er die globalen Design-Studios von Alstom, war damit für das operative Designgeschäft des zweitgrößten Bahntechnikunternehmens der Welt verantwortlich. Im Interview spricht er unter anderem über kreative Zwänge und darüber, was er in der DDR für seine spätere Arbeit lernen konnte. Und er verrät, was er als Designer noch vorhat. Erschienen ist das Gespräch in der aktuellen Ausgabe des Bahn Managers (Heft 06/2023). Das Interview führte Georg Kern.
Herr Sohn, Ihre ersten professionellen Sporen haben Sie sich mit dem Design von Rasierapparaten und Landmaschinen beim Amt für industrielle Formgestaltung der DDR verdient. Was haben Sie dort gelernt, das später auch für Ihre Arbeit beim Design von Zügen wichtig war?
Michael Sohn: Design in der DDR war geprägt durch sehr begrenzte technische und wirtschaftliche Ressourcen. Das Umgehen mit diesen Einschränkungen ist mir später im Schienenfahrzeugbau durchaus zugutegekommen, da auch hier die Möglichkeiten und Freiheiten im Verhältnis zum Konsumgüterbereich deutlich eingeschränkter sind.
Inwiefern sind die Möglichkeiten eingeschränkter?
Ich würde es so formulieren: Die Einschränkungen im Schienenfahrzeugbereich sind vielfältig und herausfordernd. Ein solches Produkt, das für Millionen Menschen über Jahrzehnte unter strengen gesetzlichen Vorschriften und Sicherheitsvorgaben operieren soll, ist von der Grundstruktur weitestgehend definiert. Dennoch lassen moderne Technologien im Frontbereich, bei der Beleuchtung, im Interieur und bei den Materialoberflächen und Farben genug Spielraum für verschiedene Designvarianten. Meistens ist es eher die Frage, ob der Auftraggeber diese Freiheiten selber vorgibt oder uns als Hersteller überlässt.
Wieviel Freiheit hat man denn dann als Zugdesigner überhaupt?
Zunächst einmal gilt, dass ein Zug niemals von einer einzelnen Person alleine gestaltet wird. Die Arbeit ist so komplex, dass mehrere Designer gebraucht werden, um ein komplettes Fahrzeug in angemessener Zeit zu entwickeln. Deshalb war ich bei unterschiedlichen Fahrzeugen auch in unterschiedlichen Rollen involviert. Während ich etwa beim Regio-Swinger in den 1990er Jahren noch aktiv den Kopf und Teile des Interieurs selbst entwarf und modellierte, übrigens als erstes Projekt in 3D-Software, war ich bei den späteren Projekten BR 490 und Twindexx als Designmanager für den Ablauf und die Organisation des Designs zuständig, habe also das entwerfende Team geführt.
Das heißt also, es gibt kaum Möglichkeiten, individuelle Designs umzusetzen?
Individuelle Designsprachen sind bei Schienenfahrzeugen eher unangebracht, da sie die Langlebigkeit des Erscheinungsbildes gefährden. Deshalb gilt für das Designverständnis weitgehend, auf überflüssige Elemente zu verzichten und der jeweiligen Funktionalität einen adäquaten Ausdruck zu verleihen.
Welche Ihrer Zugdesigns bleiben Ihnen besonders in Erinnerung?
Da gibt es mehrere, etwa mein erstes Zugdesign überhaupt, das war damals für die Metro Guangzhou in China. Auch die Metro für Singapur und der Doppelstockzug für die Schweiz – eins der komplexesten Projekte meiner Karriere – bleiben in Erinnerung. Zu den jüngeren Projekten zählen der Hochgeschwindigkeitszug für Schweden und der Doppelstockzug für die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen.
Gibt es eine Arbeit, die Sie gerne erledigt hätten, zu der Sie aber nicht mehr gekommen sind?
Eigentlich nicht. Die Übernahme von Bombardier durch Alstom vor zwei Jahren definierte meine letzte Aufgabe ohnehin dahingehend, dass die Verschmelzung mit dem Team von Alstom erfolgreich zustande kommt und alle ein gemeinsames Zuhause in dem neuen Unternehmen finden. Ich glaube, das habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus Paris gut hinbekommen. Ansonsten war mein Renteneintritt kein überraschendes Ereignis, und ich hatte genug Zeit, meine Aufgaben an die nächste Generation zu übertragen.
Was sind für Sie die wichtigsten Trends der Zukunft beim Design von Schienenfahrzeugen?
Das Design muss im Interieur immer mehr auf den wechselnden Komfortanspruch und Informationsbedarf der Fahrgäste reagieren. Es gilt Lösungen mit modernen digitalen Technologien zu entwickeln, die diesem Trend entsprechen und dem Fahrgast eine reibungslose und attraktive Nutzung ermöglichen.
Der jüngste Eintrag auf Ihrem LinkedIn-Profil lautet, Sie seien im Ruhestand, Sie seien aber auch selbstständig. Ist es richtig anzunehmen, dass Sie als Designer auch künftig aktiv bleiben wollen, möglicherweise ja auch in einem ganz anderen Bereich?
Das ist richtig vermutet. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich schon „nebenbei“ mit Schifffahrtsgeschichte, eine Leidenschaft, die schon zu Teenie-Zeiten entstand. Um diesbezügliche Forschungsarbeiten auch öffentlich zu machen, habe ich 2012 einen Eigenverlag gegründet. In diesem Bereich werde ich jetzt sicher vermehrt aktiv sein.