Berlin-Stettin: 20 Minuten schneller ab 2026
Eine schwere Geburt: Nach jahrelangem Tauziehen und Verzögerungen steht jetzt endlich der Zeitplan für den kompletten zweigleisigen Ausbau mit Elektrifizierung der Eisenbahnstrecke zwischen Berlin und dem polnischen Szczecin/Stettin.
Obwohl es sich um ein prominentes Projekt der deutsch-polnischen Bahn-Zusammenarbeit handelt, fehlten am 9.7.2020 bei der Präsentation auf dem Bahnhof Angermünde vollständig polnische Bahnvertreter und Politiker. Diese wurden nur per Videokamera auf den Bahnhof geschaltet – es hieß, für sämtliche Vertreter der polnischen Staatsbahnen PKP gelte „wegen Corona“ ein Verbot von Dienstreisen nach Deutschland.
Umgekehrt wurden „wegen Corona“ (?) nicht alle Wünsche deutscher Medienvertreter auf Teilnahme berücksichtigt. Der bahn manager war nicht eingeladen, ebenso wohl die BZ. Deren Reporter rächten sich, indem sie die Verkehrs-Senatorin des Landes Berlin Regine Günther vor dem Bahnhofsgebäude beim Einsteigen in ihren Dienst-Pkw ablichteten und die süffisante Überschrift brachten:
„Politiker werben für die Bahn, aber kommen alle mit dem Auto.“
Dabei hielt Günther die inhaltlich beste Rede der Veranstaltung. Für den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke zwischen Angermünde und der deutsch-polnischen Grenze stellt der Bund rund 380 Millionen Euro zur Verfügung. Zusätzlich beteiligen sich die Länder Berlin und Brandenburg mit insgesamt 100 Millionen Euro an dem Vorhaben, um einen durchgehenden zweigleisigen Ausbau zu ermöglichen. Die Bauarbeiten sollen zwischen 2021 und 2026 laufen.
Die Mehrzahl der Redner in Angermünde konzentrierte sich auf die Verbreitung dieser frohen Kunde. Berlins Verkehrssenatorin Günther erinnerte jedoch daran, dass damit der Erfolg noch nicht garantiert sei. Nun gelte es, Lösungen mit der polnischen Seite zu erarbeiten, für täglich 48 Züge die Schienenfahrzeuge zu beschaffen, mit denen auf der Strecke unter den unterschiedlichen polnischen und deutschen Strom- und Zugsicherungssystemen gefahren werden könne. Element des Ringens um die Bundesförderung war gewesen, dass Berlin und Brandenburg zusagen mussten, nach Fertigstellung der Streckenertüchtigung eine entsprechende Anzahl von Zugverbindungen zu bestellen, doch für die vom Bund gewünschte enge Taktsetzung hätte die DB nicht passenden Züge.
Senatorin Günther erinnerte in Angermünde auch die anwesende Staatssekretärin Tamara Zieschang vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) daran, dass das BMVI mit dem polnischen Infrastrukturminister in der Pflicht stehe, hier die Rahmenbedingungen (auch für die nach deutschem Recht notwendige Ausschreibung im Wettbewerb und die betreiberneutrale Fahrzeugbeschaffung) zu schaffen. Günther forderte, dies auf die Tagesordnung der Deutsch-Polnischen Regierungskommission zu setzen.
Außerdem korrigierte Günther DB-Vorständler Ronald Pofalla: Ziel sei nicht nur eine Fahrzeitverkürzung um 20 Minuten. Berlin und Brandenburg wollen auch eine Express-Linie im Taktfahrplan in Fernverkehrsqualität mit wenigen Halten in 80 Minuten zwischen Berlin und Stettin anbieten, was eine Verkürzung der Fahrzeit von über 30 Minuten ergeben würde. Bislang hat man den Eindruck, das BMVI und die DB möchten die Verbindungen nur zu einer „Bimmelbahn“ mit Halt der Züge an allen Unterwegsbahnhöfen herunterreden.
Nach dem Streckenausbau soll eine durchgängige Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h gefahren werden können. Berlin und Stettin werden dann in 90 Minuten zu erreichen sein, 20 Minuten schneller als heute. Dazu verlegt die Deutsche Bahn zwischen Passow und der deutsch-polnischen Grenze ein zweites Gleis. Fünf Bahnstationen in der Uckermark werden modernisiert. Auch aus der Uckermark geht es künftig schneller nach Berlin und Stettin. Die Baufinanzierungsvereinbarung war seitens der Länder bereits Ende 2019 unterzeichnet worden. Die Ausschreibungen für die Vorbereitung des Planfeststellungsverfahrens laufen planmäßig, und der Termin der Einweihung könnte im Juni 2026 sein.
Die Strecke Berlin-Stettin verbindet die europäischen Metropolregionen Berlin-Brandenburg und Stettin, in denen beiderseits der Oder rund 1,5 Millionen Einwohner leben und arbeiten. Die Bahnstrecke schafft einen Lückenschluss im transeuropäischen Verkehrsnetz und verbindet vier große europäische Verkehrsachsen zwischen Skandinavien und dem Baltikum sowie Südosteuropa und dem Mittelmeerraum.
Von Hermann Schmidtendorf, Chefredakteur bahn manager